von Dr. Angelina Sörgel *
„Mit Russland“ – ein mutiger Titel in Deutschland 2025! Er ruft die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr in Erinnerung: “Frieden , Stabilität und Sicherheit in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“ , die von der SPD – Führung aufgegeben wurde:“… dieser Satz hat keinen Bestand mehr. Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“ (Parteivorsitzender Lars Klingbeil am 19. Oktober 2022). Eine „Zeitenwende“ sei eingetreten.
Unter diesem Motto hat sich Deutschland, hat sich die EU in ihrer Ostpolitik völlig verrannt. Keine Chance, den Frieden in Europa zu erhalten, wurde ergriffen, nicht das Vertragsangebot von Russland Präsident Putin vom 17. Dezember 2021, nach Ausbruch des Krieges nicht das Verhandlungsergebnis von Istanbul Ende März 2022, und jetzt, im Sommer 2025, werden die Schritte der USA, die Ukraine und Russland zu einem Friedensschluss zu bewegen, von der Mehrheit der EU-Staaten und Großbritannien boykottiert.
Stattdessen erleben wir eine nach 1945 beispiellose Militarisierung der deutschen Gesellschaft; unsere Regierung - CDU/CSU wie SPD – strebt, unter dem Beifall der Grünen und der Billigung durch die Linken, neben dem politischen einen militärischen Führungsanspruch in Europa an.
Günter Verheugen fasst diese Entwicklung in seinem Vorwort kurz und präzise zusammen. Zu Recht weist er daraufhin: „Man darf sicher sein, dass die Nachbarn und ehemaligen Opfer Deutschlands keinen Gefallen an einem hochgerüsteten Deutschland finden werden…“ (S. 15) und entwirft die machbare Alternative, „die Chance, sich von einem US-amerikanischen Erfüllungsgehilfen zu emanzipieren und sich als gleichberechtigter politischer Akteur zu Wort zu melden. Die EU könnte sich an die Spitze einer Bewegung setzen, die vollständige atomare Abrüstung und weitreichende konventionelle Rüstungskontrolle zum Ziel hätte.“ (S. 13)
Allein dieses Vorwort macht das Buch schon lesenswert!
Die drei Beiträge der Autoren entfalten und vertiefen dann das ganze Problem, widerlegen den „Wirklichkeitsverlust“ des Mainstream in der Beurteilung des Krieges und dessen Aussichten und klagen den Robespierrschen Tugendterror von Politik und Medien an, dem Andersdenkende zum Opfer fallen.
Jürgen Wendler setzt sich unter dem Titel „Der Westen am Scheideweg“ mit dem Anspruch und der Wirklichkeit der „westlichen Werte“ auseinander und beleuchtet in einem weit geschlagenen Bogen deren historische Entwicklung, ihre Durchsetzung und ihren drohenden Zerfall. Er sieht das geistige Fundament der westlichen Welt – liberales Staatsverständnis, demokratische Bürgerrechte und technologische Überlegenheit – am Schwinden (S. 116). Vor diesem Hintergrund schildert er ausführlich die Entstehung dieses Krieges, dessen Ausgangspunkt in Wahrheit der Hegemonialanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Wendler zeichnet den Weg von der UN Charta 1945 zur KSZE Schlussakte 1975 über die Charta von Paris 1990 bis zur OSZE 2010 als einen immer weitergehenden Niedergang des Willens zum Frieden auf westlicher Seite. Der „Kampf gegen den Terror“, die „humanitären Interventionen“, die offensichtlichen Doppelstandards, die der Westen an das Völkerrecht anlegt, begleiten die Osterweiterung der NATO – alles Faktoren, die nicht nur das Sicherheitsgefühl, auch den Sicherheitsanspruch Russlands verletzen. Eine Rückkehr zur UN Charta ist es, was er anmahnt.
Stefan Luft stellt unter dem sarkastischen Titel „Die Heimatfront steht“ das ‚Grünbuch zur Zivilmilitärischen Zusammenarbeit4.0‘ „Operationsplan Deutschland“ dar und arbeitet gründlich und genau die – erschreckend gleichen – Positionen der politischen „Parteien der Mitte“, der Medien und der Kirchen heraus.
Im „Grünbuch“ geht es um den umfassenden Umbau der deutschen Gesellschaft, um auf den Kriegsfall vorbereitet zu sein. Die Palette reicht von Feuerwehr und Polizei bis hin zum Sportunterricht, zur angedachten „Kita im Bunker“ und der Umwidmung von Krankenhäusern. Es dient genauso auch dazu, immer neue Bedrohungsnarrative zu verbreiten, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzen sollen (S. 139ff.).
Die politischen Akteure stehen samt und sonders hinter dem Kriegskurs. Unter den Parteien sind sich bis auf das BSW, die AfD und – inzwischen nur noch teilweise, A.S. – die Partei Die Linken alle über einen aggressiven Kriegskurs einig, vorneweg die Grünen, dicht gefolgt von der CDU/CSU, die aber in sich widersprüchlicher auftritt und der programmatisch so gewandelten SPD, die von der Friedens- zur Kriegspartei geworden ist. Luft beklagt den „Ungeist des Fanatismus“, der sich darin spiegelt, schildert die „Dolchstoßlegende neuen Typs“ (nicht ausreichend Waffen für die Ukraine) und die wirklichen „fake news“, nämlich über russische Sabotageakte, durch eine gleichgeschaltete Presselandschaft. Sie wird begleitet von Veröffentlichungsverboten von Sendern und Publikationen, die dem mündigen Bürger eine andere Sicht auf die Dinge erlauben würden.
Auch die Kirchen stehen „In Treue fest“ an der Seite der Kriegsbefürworter; den Gewerkschaften attestiert er , sie seien zwar programmatisch auf Friedenskurs, jedoch es fehlen die Taten!
Abgerundet wird der Beitrag durch die Frage nach den Kosten; die von ihm gesehene Gefahr, dass fast die Hälfte des Bundeshaushalts für Rüstungsausgaben verschwendet werden soll, hat sich inzwischen bestätigt. Es fehlt auch nicht der Hinweis, dass im kommenden Jahr durch die USA weitreichende Waffensysteme modernsten Typs auf deutschem Boden installiert werden sollen.
Warum regt sich kein Widerstand? Diese Frage kann Stefan Luft, kann keiner der Buchbeiträge beantworten. Es ist doch eine Mehrheit, die sich ein Ende des Krieges wünscht. Stefan Luft zieht eine Analogie zum „Zauberberg“, Thomas Manns Roman vor dem 1. Weltkrieg: „Während sich Europa in eine der beiden größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts hineinbewegt, bleibt das Leben im schweizerischen Davos weitgehend unberührt.“ (192), die Akteure des Romans verharren in ihrer abgeschlossenen Welt. Er attestiert unseren Politikern, unserer Presse, der deutschen Gesellschaft einen totalen und verhängnisvollen Realitätsverlust.
Jan Opielka weckt mit seinem Beitrag „Mittelosteuropa: Brücke oder Festung?“ Verständnis für die Westbindung Polens und der Mittelosteuropäischen Länder (MOE), für die gewollte Abhängigkeit von den USA und der EU, in die sie sich aufgrund der Erfahrungen in ihrer wechselvollen Geschichte begeben haben. Er erinnert an die Ausgangssituation der Wende, daran, dass die Sowjetunion ihre Truppen vollständig aus den früheren Ostblockstaaten und den westlichen Militärbezirken der UdSSR abgezogen hatte, den Warschauer Pakt aufgelöst, dem Beitritt der ehemaligen DDR zur NATO zugestimmt hatte. All das hätte zu einer neuen stabilen Sicherheitsstruktur für Europa unter Einbezug Russlands führen können. Vertreter der MOE, z.B. Vaclav Havel, auch de Maziere, sprachen sich damals für ein neutrales Deutschland, die Auflösung beider Militärbündnisse und einen Abzug aller ausländischen Truppen aus Europa aus (S. 226ff.). Verpasste Chancen: Stattdessen setzte sich vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit der Sowjetunion, auch mit dem zaristischem Russland, der immer wieder aufflackernden Angst, als Nationalstaat von der Landkarte gelöscht zu werden, und der Durchsetzung der Neocons in den USA die Bindung an den Westen, der Eintritt der MOE in die NATO durch.
Wendler sieht darin auch einen Verlust der eigenen nationalen Identität, die ebenfalls eine slawische Seite habe. Das führe zu einem anderen Herangehen an politische Fragen, das nicht allein von der Rationalität der Aufklärung, vom Glauben an das Recht, von der Bindung an Verträge, sondern genauso von einem „wirkmächtigen Ehrenkodex“ getragen sei. Aus westeuropäischer Sicht führt das zu einer gewissen politischen Naivität, von der auch Gorbatschow seinerzeit getragen war.
Er verbindet diese verständnisvollen historischen, kulturellen und ethischen Betrachtungen mit der Hoffnung, dass Polen und andere mittelosteuropäischen Länder sich zukünftig wieder auf ihr „vergessenes Erbe“ der eigenen Identität zwischen West- und Osteuropa besinnen werden. Und damit auf eine Plattform, die ihnen eine Mittlerrolle für ein friedliches Miteinander auf unserem Kontinent zuwiese.
„Mit Russland“ ist kein Buch, dessen Lektüre den Leser fröhlicher stimmt. Aber es ist ein notwendiges Buch! Durch die Genauigkeit der Darstellung, durch die historischen Horizonte, die die Beiträge heraufbeschwören, bleibt man klüger und nachdenklicher zurück. Die verpassten Chancen einer friedlichen Entwicklung zu erkennen und in Erinnerung zu rufen, eröffnet auch die Perspektive, unsere heutige Politik anders und besser zu gestalten.
Mit Russland – für einen Politikwechsel
Stefan Luft, Jan Opielka, Jürgen Wendler
Mit einem Vorwort von Günter Verheugen
Westend Verlag Neu-Isenburg 2025
ISBN 978-3-98791-330-3
315 Seiten
Zu den Autoren:
Stefan Luft war von 1999 bis 2004 stellvertretender Sprecher des Senats der Freien Hansestadt Bremen. Seit 2004 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen
Jan Opielka arbeitet seit 20 Jahren als Journalist an der Schnittstelle zwischen Polen und Deutschland, zu Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft.
Jürgen Wendler war mehr als drei Jahrzehnte (bis 2022) als Redakteur für den Bremer Weser-Kurier tätig
* Dr. Angelina Sörgel
Dipl. Ökonom. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, zur Konzernanalyse und zum Stadtstaat Bremen
von Helmuth Weiss
11.07.2025
Nachdem das bisherige Rentenmodell für die Abgeordneten sich nicht als lukrativ genug erwiesen hat - wir haben darüber berichtet - hat man die eigenen Rentenansprüche um ca. 300 % gesteigert, eine Vervierfachung der bisherigen Ansprüche!
von Helmuth Weiss
In Bremen lässt es sich eigentlich gut leben. Zumindest werden das viele bezeugen, wenn sie in der Öffentlichkeit gefragt werden. Und es stimmt auch: Bremen ist eine liebens- und lebenswerte Stadt. Doch für viele gilt das nicht, für sehr viele sogar.
von Roman Fabian
Die Schließung des Klinikums Links der Weser ist eine falsche politische Entscheidung. Die Koalitionspartner – SPD, Grüne und Linke - haben sich am Anfang der Legislaturperiode von der Geschäftsführung der Gesundheit Nord ein erhebliches Einsparpotential durch die Schließung des Klinikums Links der Weser vorgaukeln lassen.
von Walter Ruffler
In Bremen gibt es eine Debatte um die Umbenennung der Langemarckstraße in Georg-Elser-Allee. Dagegen wehren sich nicht nur die unmittelbaren Anwohner, die sich von der Politik übergangen fühlen. Eine Petition dagegen kann unterschrieben werden. Wir dokumentieren im Folgenden zwei gegensätzliche Stellungnahmen dazu, von Walter Ruffler sowie eine Pressemitteilung der Linken.
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Der Aufsichtsrat kannte nicht alle Papiere !
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In Bremen soll die Abgeordnetenrente „auf ein neues Fundament“ gestellt werden. Sehen wir uns einmal an, was dazu bislang bekannt ist.
Kaum ein Bundesland hat prozentual so viele Niedriglöhner, Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Bezieher wie Bremen. Die Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung haben das dramatisch verschlimmert. In einigen Ortsteilen leben über 50% aller Kinder in Familien mit Hartz IV-Bezug. Auch die seit 2019 regierende SPD/Grüne/Linke Regierungskoalition hat den Trend nicht aufgehalten. Die Zahl der registrierten Langzeitarbeitslosen in SGB II und III Bezug in Stadt Bremen stieg von April 2020 bis April 2021 um 30,3 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen Hartz-IV-Bezieher stieg um 8,2 % im gleichen Zeitraum. Und gleichzeitig steigen die Mieten und verschlingen für viele bereits 40% oder noch mehr ihres Einkommens. weiter lesen...