von Rodolfo Bohnenberger *
Kaum ein Bundesland hat prozentual so viele Niedriglöhner, Langzeitarbeitslose und Hartz IV-Bezieher wie Bremen. Die Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung haben das dramatisch verschlimmert. In einigen Ortsteilen leben über 50% aller Kinder in Familien mit Hartz IV-Bezug. Auch die seit 2019 regierende SPD/Grüne/Linke Regierungskoalition hat den Trend nicht aufgehalten. Die Zahl der registrierten Langzeitarbeitslosen in SGB II und III Bezug in Stadt Bremen stieg von April 2020 bis April 2021 um 30,3 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen Hartz IV-Bezieher stieg um 8,2 % im gleichen Zeitraum. Und gleichzeitig steigen die Mieten und verschlingen für viele bereits 40% oder noch mehr ihres Einkommens.
Ist „sich arm Wohnen“ alternativlos? Natürlich nicht, diese Entwicklung ist das Ergebnis intensiver Lobbyarbeit der Wohnungswirtschaft über Jahrzehnte. Gegen die Interessen der Mehrheit wurden die passenden Beschlüsse in den Parlamenten gefasst. In der Stadt Bremen gilt zwar seit Ende 2015 eine sog. Mietpreisbremse, sie ist aber zahnlos. Sie greift nur bei Neuvermietungen. Dann verbietet sie auch nur Erhöhungen von mehr als zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau. In Bremen sind bis 2019 trotz Bremse die Preise bei Neuvermietungen um 19 Prozent gestiegen. Vor Mieterhöhungen im Bestand schützt sie gar nicht.
Die seit 2019 neue Koalition aus SPD/Grüne/Linke im Bremer Senat bewirbt weiterhin den Wohnungsneubau als Mittel für MEHR bezahlbare Wohnungen. Große private Baufirmen (vom Bremer Senat als „Partner“ bezeichnet) freuen sich sicherlich über so eine Schleichwerbung für ihre Branche und die damit einhergehende öffentliche Subventionierung.
Erinnern wir uns: zur sicherlich notwendigen und lobenswerten Sanierung schrecklicher Bausünden der 1970er Jahre im Bremer Ortsteil Tenever (damals als Ghetto bezeichnet) wurden ca. 1/3 aller Hochhäuser dort mithilfe öffentlicher Gelder abgerissen. Dabei wurde massiv preisgünstiger Wohnraum (auch für große Familien) vernichtet, und das sei besonders betont: o h n e gleichzeitig Ersatz zu schaffen. Von 2013-2017 wurden insgesamt nur 7.132 neue Wohnungen in Bremen fertiggestellt. Für das Ziel „mehr bezahlbare Wohnungen“ brauchen wir also vordringlich eine Mieten senkende Politik im existierenden Wohnungsbestand, darunter ca. 25% in städtischem Besitz. Denn die Höhe der Mieten in Bremen ist keinem Marktgott geschuldet, sondern politisch gemacht. Dazu später mehr.
Laut Monitoring Wohnen und Bauen in Bremen 2019 (1) sind von den insgesamt 296.000 Wohnungen in Bremen ca. 172.000 (58 %) Mietwohnungen. Alle Bremer Wohnungen befinden sich in 118.661 Gebäuden (Zahlen für 2018). Ca. 38 % der Wohnungen, vom Appartement über das sehr verbreitete kleine Bremer Häuschen bis zur Villa im Stadtteil Oberneuland, sind vom Eigentümer selbst bewohnt.
Das sind keine Wohlfahrtsorganisationen sondern nach Maximalrendite strebende private Kapitalgesellschaften. Sie bauen deshalb am liebsten Luxuswohnungen, auch „hochpreisiges Segment“ genannt, weil sich nur da so richtig „Kohle machen“ lässt: in Quartieren wie der Überseestadt, am Werdersee, im Tabakquartier, in den Weserhöfen... die Liste der geleckten „upper class“ Wohnviertel in Fahrradentfernung vom Zentrum nimmt ständig zu.
Der größte Immobilienmagnat in Bremen ist die Zech Group SE mit europaweit 11.000 Mitarbeitern und Investments in „Building, Real Estate und Hotel“; auch in der Schweiz und Österreich und aus Steuergründen mit Sitz in Luxemburg. Dass die Gustav Zech Familien-Stiftung ihren Sitz bei der TTA (Trevisa-Treuhand Anstalt) in Balzers in Liechtenstein hat, ist sicherlich nicht einer besonderen Verbundenheit mit den Bürgern in der Hansestadt Bremen geschuldet.
Der Neubau-Anteil der "städtischen" Gesellschaften GEWOBA und BREBAU hingegen liegt laut deren Geschäftsberichten nur bei ca. 470 von den 1723 neu gebauten Wohnungen im Jahre 2019. In den anderen Jahren war es nicht viel anders. Es ist offensichtlich, dass solch ein - von Selbstlob begleitetes - Investoren-Bauprogramm nicht „mehr bezahlbare Wohnungen“ schaffen kann. Die Nettokaltmieten im Bremer Neubau liegen nun schon bei durchschnittlich 11,83 Euro, Neuvermietungen von Altbauwohnungen erreichen die 10 Euro pro qm Wohnfläche.
Weil Bremen die höchste Armutsquote hat, ist es nicht überraschend, dass es auch die höchste Mietbelastungsquote hat (d.h. überproportional viel vom Einkommen geht für’s Wohnen drauf). Die neueste Studie der Hans Böckler Stiftung vom August 2021 beweist das erneut (2):
Die vom statistischen Landesamt ermittelten Wanderungsbewegungen zwischen Bremen Stadt und dem Bremer Umland bis 30km Umkreis (siehe Säulendiagramm) geben ein Hinweis darauf, dass junge Familien in den sog. "Speckgürtel" ausweichen. Junge Familien mit Kindern können sich die von Investoren gebauten Luxuswohnungen nicht leisten.
Dieser Trend wird weitergehen, denn die herrschende Wohnungspolitik im grünen Bauressort setzt auf große profitorientierte Investoren und verkauft ihnen auch noch zu Spekulationspreisen unseren kommunalen Boden, wie in der Überseestadt und auf dem St. Jürgen Krankenhausgelände (Modellprojekt „Hulsberg Viertel“) anschaulich zu beobachten.
Nötig wäre stattdessen kommunale Bodenbevorratung und die langfristige Vergabe NUR auf Erbpachtbasis, um als Kommune handlungsfähig zu bleiben.
Welche Ideen haben grüne Politiker noch so in dieser Lage? Kaum zu glauben: Mieten verteuerndes „klimaneutrales Bauen“ (3) und eine „Wohnflächensteuer“. Liegt die Ursache etwa bei uneinsichtigen Klimaleugnern und haufenweise Egoisten, die zu viele Quadratmeter bewohnen ?
Der tieferliegende Grund für Mietsteigerungen
In Deutschland werden jährlich ca. 70 bis 80 Milliarden Euro von Banken, Hedgefonds, Kapitalanlegern wie Black Rock und Vanguard, Immobilienfonds und Versicherungen in den Immobilienmarkt gepumpt. Sechs Prozent Rendite werden für solche "Anlagen" mindestens erwartet. Etwa ein Drittel aller Kredite in Deutschland fließen in Immobilien, nachdem die EZB zusammen mit den Privatbanken Billionen Euro zu Null Prozent Zinsen aus dem Nichts geschöpft und in die "Finanzmärkte" gepumpt hat.
Dieses billige Geld sucht rentable und sichere Anlageobjekte in "Betongold". Das nach sicherer profitabler Verwertung drängende Kapital strebt besonders in leistungslos zu erzielende Bodenrenten (4); auch Bodenspekulation genannt. Die elementare Daseinsvorsorge von Wohnraum für Millionen Menschen kann nur gelingen, wenn sie sich von diesem kapitalistischen Prinzip verabschiedet.
Die Renditen der Konzerne Deutsche Wohnen, Vonovia, LEG, Adler Real Estate, Grand City Properties usw. werden absurderweise staatlich garantiert. Diese Subventionsmaschine wird gern verheimlicht. Ein großer Teil der Mietverhältnisse kann von den Mietern nur gehalten werden, weil staatliche Subventionierung („Kosten der Unterkunft“ KdU und Wohngeld) in Höhe von bundesweit ca. 20 Milliarden Euro jährlich als "durchlaufender Posten" über die Mieter den Wohnungseigentümern zufließt - eine riesige Bereicherungsmaschine für Investoren auf Staatskosten.
Wären 20 Milliarden jährlich in den letzten 30 Jahren in die „Objektförderung“ gegangen, also z.B. in die Rekommunalisierung von Wohnungsbeständen und in öffentliche Bauprojekte in öffentlicher Trägerschaft, könnten wir die Subjektförderung (5) deutlich abbauen. Das ginge aber nur gegen den Einfluss der Lobbyisten der Wohnungswirtschaft.
KdU (volle Übernahme der Wohnkosten in Hartz IV) und Wohngeld (6) (Zuschüsse über bestimmten knappen Einkommensgrenzen) sieht zwar wie Wohlfahrt aus, aber auf vertrackte Weise werden damit hohe Miet- und Energiepreise privater Konzerne erst realisierbar. In Bremen Stadt können ein Großteil der ca. 60.000 Hartz IV-Haushalte ihre Mieten im unteren Preissegment nur noch noch über diese KdU bezahlen. Es entstehen ganze Ortsteile mit häufigem KdU-Bezug (7).
Die Zahl der Haushalte, die Wohngeld beantragen müssen, stieg in Bremen um 12,2 % von 4389 in 2019 auf 4935 in 2020 (WK 17.08.2021).
Die Wohnungswirtschaft beschwört in ihren Hochglanzbroschüren den freien Markt, das ist zynisch (8). Der Bundesanteil dieser leistungslosen Geldmaschine KdU stieg auf ca. 3/4 (siehe Schaubild) (9). Welchem Landesfinanzminister können wir es nun verdenken, dass er kostenintensive kommunale Wohnungspolitik in Eigenregie für fiskalisch unrentabel hält?
Unser Gemeinwesen kommt seiner gesellschaftlichen Aufgabe nicht mehr nach (10), leistbare, kommunale und genossenschaftliche Mietwohnungen für die Bürger in Eigenregie vorzuhalten. In Wien ist seit 100 Jahren zu besichtigen, dass eine Kommune sehr wohl in Kooperation mit Genossenschaften preisgünstiges städtisches Wohnen im Stadtzentrum gewährleisten kann. Die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit (11) durch CDU/FDP 1989 hat in Deutschland eine Negativspirale in Gang gesetzt. In Bremen sank die Zahl der Sozialwohnungen von ca. 90.000 auf ca. 8.000.
Die großen Privatisierungswellen kommunaler Unternehmen in Bremen in den drei Legislaturperioden der großen Koalition SPD/CDU von 1995-2007 waren ein kommunalpolitisches Desaster. Damals landeten z.B. die großen Wohnungsbestände der ehemals kommunalen Wohnungsgesellschaft "Bremische" über Umwege bei der VONOVIA (jetzt 11.300 Wohnungen in Bremen).
Die ehemals kommunalen Stadtwerke Bremen (SWB) landeten bei der EWE AG. Die EWE, in Bremen nun ein Monopolist in der Strom-, Gas- und Wasserversorgung, gehört seit 2019 zu 26 Prozent ARDIAN, ein dem AXA Konzern nahestehender französischer Private Equity Kapitalanleger.
Das ist wirklich eine „Feine Gesellschaft“, denen SPD und CDU unsere Grundversorgung auf Jahrzehnte ausgeliefert hat.
Das Land Bremen hat drei Wohnungsunternehmen, die sich als „städtisch“ bezeichnen
All diese in Pressekonferenzen hochgelobten Maßnahmen bleiben aber letztlich ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wie wir seit Jahren erleben, wirkt das alles nicht gegen steigende Mieten. Gentrifizierung, die Vertreibung einkommensärmerer Bürger aus den hippen Stadtmitte-Vierteln in Richtung sozialräumlich unterversorgter Viertel, vollzieht sich schleichend, spaltet die Stadt und führt zudem auch noch haufenweise zum Ansteigen sozialarbeiterischer Bedarfe und obrigkeitsstaatlicher Eingriffe in Familien.
von Bernd Hontschik
Der erfahrene Chirurg Bernd Hontschik prangert die Umwandlung unseres Gesundheitssystems in eine profitorientierte Industrie mit all ihren "kranken" Begleiterscheinungen seit vielen Jahren an und fordert dazu auf, zur eigentlichen Bestimmung der Medizin zurückzukehren.
Weiter lesen...
von Christoph Butterwegge
Selten war die Bundesrepublik Deutschland politisch so zerrissen wie nach dem parlamentarischen Trauerspiel in Thüringen und dem ihm folgenden Rücktritt Annegret Kramp-Karrenbauers als CDU-Vorsitzende. Um diese sich gewissermaßen auf der parteipolitischen Vorderbühne abspielenden Ereignisse verstehen zu können, muss man die gesellschaftlichen Hintergründe der Zersplitterung des Parteiensystems, des Niedergangs der beiden „Volksparteien“ und der Krise des parlamentarischen Repräsentativsystems einschließlich der sozialen Abstiegsängste in der unteren Mittelschicht und der (Wahl-)Erfolge des Rechtspopulismus ausleuchten.
Weiter lesen...
Grundgesetz, Menschenrechte und Demokratie besagen etwas anderes!
von Werner Rügemer
Am 25. März 2021 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Der Berliner Mietendeckel ist verfassungswidrig! Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen von Berlin sei deshalb nichtig. Aber: An diesem Urteil sind Zweifel angebracht.
Weiter lesen...