von Helmuth Weiss
Jeffrey Sachs zeichnet ein faktenbasiertes, düsteres Bild der US-amerikanischen Politik, das wenig Raum für schlichten Optimismus lässt. Ein empfehlenswertes Buch, das so manche Illusionen über die Vereinigten Staaten zerstören wird.
Jeffrey Sachs gehört zu den wichtigsten kritischen politischen Stimmen Amerikas. Er war Sonderberater von drei UN-Generalsekretären und Berater von Regierungen weltweit. Er beriet die indische und chinesische Regierung in wirtschaftspolitischen Fragen, engagiert sich bis heute für die Befreiung Afrikas aus der Armut und in gesundheitspolitischen Fragen und vieles mehr. Seine 42 Ehrendoktorwürden sprechen für sich.
Jeffrey Sachs beleuchtet in seinem aus mehreren Artikeln zusammengestellten Text zurecht zwei Aspekte des Ukrainekriegs, die für das Verstehen jenseits von Trauer und moralischer Empörung unerlässlich sind: Zum einen benennt er noch einmal die Hintergründe und Ereignisse der Kriegs in den Jahren vor Kriegsbeginn und auch noch nach seinem Ausbruch. Zum anderen skizziert er mit zahlreichen Beispielen und Hintergrundinformationen, worum es bei diesem Krieg in Wirklichkeit geht - der Versuch der USA, seine militärische und wirtschaftliche Vorrangstellung in der Welt aufrechtzuerhalten bzw. zu erweitern. Und das um jeden Preis.
Um die Gegenwart adäquat verstehen zu können, geht Sachs weit in die Vergangenheit zurück und stellt die Frage nach der Rolle Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg innerhalb der Ost-West-Konfrontation. Nach dem Sieg über den Faschismus war der Bolschewismus der neue alte Feind. Doch schon 1948 gab es den nach dem amerikanischen Diplomaten genannten Kennan-Plan, der eine Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage von Neutralität, Abrüstung und Abzug aller ausländischen Streitkräfte vorsah. Sowohl Adenauer als auch die Amerikaner lehnten ab, trieben die Teilung Deutschlands aktiv voran und machten sich an die Remilitarisierung Westdeutschlands. Auch spätere Vorschläge der Sowjetunion Anfang der 50er Jahre für eine Neutralität eines wiedervereinigten Deutschland, das Angebot, die Sowjetunion sollte Teil der Nato werden oder das österreichische Modell auf Deutschland auszudehnen, fanden nicht den geringsten Widerhall. Die Antwort stattdessen: Aufnahme der Bundesrepublik in die Nato.
Während Deutschland anfänglich unter Brandt, Schröder und sogar Merkel eine zumindest teilweise eigenständige Ostpolitik betrieb, war das mit Olaf Scholz vorbei. Vasallen – Politik war angesagt.
Die Zusicherung der Amerikaner an Gorbatschow, dass die Nato sich “nicht einen Zoll nach Osten erweitern” werde - mehrfach wiederholt und ausführlich dokumentiert - erwies sich als glatte Lüge. Seit den 90er Jahren wurde die Sicherheit Russlands mehr und mehr in Frage gestellt, aus der von Jeffrey Sachs aufgeführten beispielhaften Liste seien nur einige Vorgänge herausgegriffen:
Entgegen die obigen Zusagen Beginn der Nato-Osterweiterung 1999 durch die Tschechische Republik, Ungarn und Polen
Unterstützung und Bewaffnung islamistischer Kämpfer in Bosnien, im Kosovo und in Tschetschenien
Bombardierung Serbiens 1999, um die Loslösung des Kosovo zu erzwingen, anschließend Errichtung eines großen Nato-Stützpunkts im Kosovo
2002 einseitige Kündigung des ABM-Vertrag und Stationierung von US-Raketensystemen in Polen und Rumänien nahe der russischen Grenzen
2003 Angriff auf den mit Russland verbündeten Irak ohne UN-Mandat und auf Basis von falschen Anschuldigungen
2004 Nato-Erweiterung um sieben weitere Staaten
2008 Verpflichtung der USA, die Nato um die Ukraine und Georgien zu erweitern
2011 Bombardierung Libyens, eines weiteren Verbündeten Russlands
2014 Beteiligung an einem Komplott mit rechtsgerichteten Kräften in der Ukraine, um den gewählten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch abzusetzen
2019 einseitige Kündigung des INF-Abkommens
März 2022 Ablehnung des Entwurfs eines Friedensabkommens zwischen Russland und der Ukraine, auf das sich beide Länder geeinigt hatten
Entgegen der Propaganda im Westen ist der Krieg in der Ukraine kein unprovozierter Angriffskrieg von Wladimir Putin. Es ist vielmehr das tragische, aber vorhersehbare Ergebnis von mehr als 30 Jahren US-amerikanischer Hybris und amerikanischem Unwillen, die berechtigten nationalen Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen.
Jeffrey Sachs kommt zu klaren Schlussfolgerungen:
“Meine Schlussfolgerungen sind klar und deutlich: Entgegen der Propaganda im Westen ist der Krieg in der Ukraine kein unprovozierter Angriffskrieg von Wladimir Putin. Es ist vielmehr das tragische, aber vorhersehbare Ergebnis von mehr als 30 Jahren US-amerikanischer Hybris und amerikanischem Unwillen, die berechtigten nationalen Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen. Es gibt keinen triftigen Grund, warum die NATO auf die Ukraine und Georgien ausgedehnt werden sollte, um Russland in der Schwarzmeerregion einzukesseln, wie es die US-Neocons seit 1994 planen. Es gibt keinen triftigen Grund, warum die USA den Rahmen für die nukleare Rüstungskontrolle aufgegeben und einseitige Schritte zur Aufstellung von US-Raketensystemen in Osteuropa unternommen haben sollten. Es gibt keinen triftigen Grund, warum die USA sich zum Sturz Janukowitschs im Februar 2014 verschworen und damit den Krieg angezettelt haben sollten. Es gibt keinen triftigen Grund, warum die USA die Minsk-II-Vereinbarungen untergraben haben sollten. Es gibt keinen triftigen Grund, warum die USA heute eine diplomatische Lösung auf der Grundlage der Neutralität der Ukraine ablehnen.
Genauso gibt es für Deutschland keinen triftigen Grund, diese fatalen Fehler der USA stillschweigend mitzutragen, obwohl diese ganz offensichtlich die eigene wirtschaftliche Vitalität und Dynamik untergraben.“ (S. 19)
Jeffrey Sachs benennt in seinem Buch zahlreiche Punkte, die wichtig sind für ein Verständnis amerikanischer Außenpolitik. Die USA führen Stellvertreterkriege, die oft Jahre und Jahrzehnte dauern, so wie in Vietnam und Kambodscha, Irak, Syrien und Libyen und die die Länder häufig in Trümmern zurücklassen. Dass für die Ukraine diese Gefahr besteht, ist ganz offensichtlich.
Die NATO ist nur dem Papier nach ein Verteidigungsbündnis, wie die Bombardierung Serbiens über 78 Tage hinweg und der Sturz Gaddafis in Libyen zeigen.
Für Sachs ist es wichtig herauszustellen, dass das Jahr 2023 bereits der neunte Jahrestag des Krieges in der Ukraine war, ein Krieg, der mit einem Putsch und dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowytsch begann.
Auch in den USA war schon lange vor den Folgen einer NATO-Erweiterung gen Osten gewarnt worden, so z.B. 2008 von dem damaligen US-Botschafter in Russland und heutigen CIA-Direktor William Burns oder von Henry Kissinger und William Perry, dem ehemaligen US-Verteidigungsminister. Doch wie schon in der Vergangenheit, setzt sich eine irrationale Außenpolitik der USA fort. Doch wie so oft, gibt es in einem derartigen Prozess Gewinner und Verlierer. Zu den Verlierern gehört das amerikanische Volk, denn „die gescheiterten Kriege seit dem Jahr 2000 haben sie rund fünf Billionen Dollar an direkten Ausgaben gekostet, das sind rund 40 000 Dollar pro Haushalt. Weitere rund zwei Billionen Dollar werden in den kommenden Jahrzehnten für die Versorgung von Veteranen ausgegeben werden.“ (114). Gewinner in diesem Prozess ist der militärisch-industrielle Komplex der USA, dem gigantische Einnahmen beschert werden. Das Kriegsgeschäft liegt weitgehend in privater Hand, je mehr Kriege, desto höher die Einnahmen. Laut Sachs gibt es ca. tausend Schlüsselpersonen, die diese Politik festlegen – ohne Rücksicht auf das öffentliche Interesse. Sie tragen die Verantwortung für die über 800 Militärstützpunkte rund um den Globus, sie planen Kriegseinsätze und verteilen hunderte von Milliarden Dollar.
Erschreckend auch die Anzahl der US-Regime-Change-Operationen seit 1947: in mindestens 80 Fällen wurde versucht, Regierungen zu stürzen, meist unter Führung der CIA, durch Putsche, Attentate, Aufstände, Wirtschaftssanktionen und offene Kriege.
Erschreckend auch die Anzahl der US-Regime-Change-Operationen seit 1947: in mindestens 80 Fällen wurde versucht, Regierungen zu stürzen, meist unter Führung der CIA, durch Putsche, Attentate, Aufstände, Wirtschaftssanktionen und offene Kriege. Riesige Denkfabriken werden beschäftigt, um den Wählern diese Vorgehensweise als Friedensmissionen zu verkaufen. Bezüglich der Ukraine ist man stolz darauf, dass bisher kein einziger amerikanischer Soldat dabei sein Leben lassen musste, die hunderttausenden toten Ukrainer sind Nebensache.
Das Gespräch am Ende des Buches mit Oskar Lafontaine bestätigt die Übereinstimmung der beiden in allen zentralen Fragen. Auf die Frage, warum sich in Deutschland kein größerer Widerstand gegen diese US-Politik erhebt, kann auch Lafontaine keine Antwort geben. Deutschland gefällt sich in der Rolle des US-Vasallen.
Die Zukunftsaussichten sind laut Sachs eher düster: Schon Jimmy Carter ließ einmal verlauten: „Die USA sind eine Oligarchie mit unbegrenzter politischer Bestechung“ (151), das amerikanische Vorgehen könne, so meint Sachs erstaunlicherweise, nur von außen und nicht von innen gezügelt werden. Sein Fazit: „Aber wie kann sich das nun ändern? Nun: Es ist sehr schwer, denn wir werden jede einzelne Minute belogen. Es gibt nicht einen Tag, an dem unsere Politiker die Wahrheit sagen. Und es ist erstaunlich, das zu sehen. Ich habe lange Zeit nicht viel davon verstanden, aber heute ist mir klar: Die Lügen sind so tiefgreifend, dass es sogar möglich war, einen Präsidenten zu töten (denn meine Überzeugung ist, dass Kennedy durch eine Verschwörung der US-Regierung getötet wurde), und zwar am helllichten Tag, und es wurde nie richtig untersucht. Wenn man mit einem solchen Staatsstreich davon kommt, dann kann man mit allem davon kommen. Und das ist auch die Einstellung der Machtelite, die da lautet: Wir können uns jederzeit alles erschwindeln.“ (152)
Jeffrey Sachs zeichnet ein faktenbasiertes, düsteres Bild der US-amerikanischen Politik, das wenig Raum für schlichten Optimismus lässt. Ein empfehlenswertes Buch, das so manche Illusionen über die Vereinigten Staaten zerstören wird.
Jeffrey Sachs: Diplomatie oder Desaster. Zeitenwende in den USA – Ist Frieden möglich?
Mit einem Gespräch zur politischen Lage mit Oskar Lafontaine. Westend Verlag 2024, 160 Seiten, 20 Euro. Bestellbar u.a. bei den Buchkomplizen
Mehr von Jeffrey Sachs auf unseren Seiten gibt’s hier.
von Helmuth Weiss
Nachdem das bisherige Rentenmodell für die Abgeordneten sich nicht als lukrativ genug erwiesen hat - wir haben darüber berichtet - hat man die eigenen Rentenansprüche um ca. 300 % gesteigert, eine Vervierfachung der bisherigen Ansprüche!
weiter lesen...
von Helmuth Weiss
In Bremen lässt es sich eigentlich gut leben. Zumindest werden das viele bezeugen, wenn sie in der Öffentlichkeit gefragt werden. Und es stimmt auch: Bremen ist eine liebens- und lebenswerte Stadt. Doch für viele gilt das nicht, für sehr viele sogar.
von Roman Fabian
Die Schließung des Klinikums Links der Weser ist eine falsche politische Entscheidung. Die Koalitionspartner – SPD, Grüne und Linke - haben sich am Anfang der Legislaturperiode von der Geschäftsführung der Gesundheit Nord ein erhebliches Einsparpotential durch die Schließung des Klinikums Links der Weser vorgaukeln lassen.
von Walter Ruffler
In Bremen gibt es eine Debatte um die Umbenennung der Langemarckstraße in Georg-Elser-Allee. Dagegen wehren sich nicht nur die unmittelbaren Anwohner, die sich von der Politik übergangen fühlen. Eine Petition dagegen kann unterschrieben werden. Wir dokumentieren im Folgenden zwei gegensätzliche Stellungnahmen dazu, von Walter Ruffler sowie eine Pressemitteilung der Linken.
weiter lesen...von Roman Fabian
Der Aufsichtsrat kannte nicht alle Papiere !
weiter lesen...
In Bremen soll die Abgeordnetenrente „auf ein neues Fundament“ gestellt werden. Sehen wir uns einmal an, was dazu bislang bekannt ist.
Kaum ein Bundesland hat prozentual so viele Niedriglöhner, Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Bezieher wie Bremen. Die Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung haben das dramatisch verschlimmert. In einigen Ortsteilen leben über 50% aller Kinder in Familien mit Hartz IV-Bezug. Auch die seit 2019 regierende SPD/Grüne/Linke Regierungskoalition hat den Trend nicht aufgehalten. Die Zahl der registrierten Langzeitarbeitslosen in SGB II und III Bezug in Stadt Bremen stieg von April 2020 bis April 2021 um 30,3 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen Hartz-IV-Bezieher stieg um 8,2 % im gleichen Zeitraum. Und gleichzeitig steigen die Mieten und verschlingen für viele bereits 40% oder noch mehr ihres Einkommens. weiter lesen...