Buchkritik: Beate & Serge Klarsfeld: Die Nazijäger
von Pascal Bresson und Sylvain Dorange


von Bernd Fischer


...

Mit einem Schlag die Welt verändern und verbessern – mag sein, dass Beate Klarsfeld auch von diesem Wunsch geleitet war, als sie dem CDU-Vorsitzenden Kurt Georg Kiesinger am 07. November 1968 auf dem 16. Bundesparteitag der CDU ins Gesicht schlug. Nicht um ihn zu bestrafen, weil er als NSDAP-Mitglied der ersten Stunde und stellvertretender Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung im Reichsaußenministerium schuldig geworden war. Ähnliches traf auf viele Tausend zu, und hätte Beate Klarsfeld sie alle ohrfeigen wollen, sie hätte spätestens nach einer Woche ihre Hand in Gips legen müssen. Ihr ging es nicht um Kiesinger, ihr ging es um Gerechtigkeit und den Skandal, dass ein ehemaliger Nazi-Funktionär als Bundeskanzler das zweithöchste Amt der Bundesrepublik Deutschland bekleiden, genauer: beschmutzen durfte.


Dabei nutzte sie – zum ersten, aber nicht zum letzten Mal - die Sensationsgier der Medien, vertraute auf das Signal der Tat und ging das Risiko ein, sich mit einer „körperlichen und seelischen Schmerzzufügung“ gegen eine Person des öffentlichen Lebens schuldig im Sinne des Strafgesetzbuches zu machen.

Wie sie an der Seite ihres Mannes zur Kämpferin wurde, können wir nun in der wunderbaren Graphic Novel „Beate & Serge Klarsfeld – Die Nazijäger“ verfolgen, so auch den Weg zu ihrer ersten spektakulären Aktion, bei der sie Kiesinger mit dem dreifachen „Nazi“-Ruf den legendären Schlag verpasst, um sogleich von einem Schnellgericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt zu werden, eine Strafe, die sie aufgrund ihrer deutsch-französischen Staatsbürgerschaft aber nicht antreten muss. Am Beginn ihrer Beziehung, im Mai 1960, stehen Serge und Beate auf einem Bahnsteig der Pariser Metro und tauschen erste anspielungsreiche Höflichkeiten aus, sind schnell verliebt, und drei Tage später, auf einer Bank im Park, erfährt die Einundzwanzigjährige von dem vier Jahre älteren Serge die Geschichte der jüdischen Familie Klarsfeld, der es noch bis zum September 1943 gelungen war, im italienisch kontrollierten Nizza der Verfolgung durch die Deutschen zu entgehen, bis die österreichische SS unter Leitung von Alois Brunner alle Juden, deren sie habhaft werden konnte, deportieren ließ, damit sie wie Arno Klarsfeld, der Vater von Serge, in Auschwitz-Birkenau ermordet werden konnten.

1966 – das Ehepaar Klarsfeld hat inzwischen einen Sohn - wird Kiesinger zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Beate ist empört, sie protestiert in der Tageszeitung Combat gegen diese Wahl und wird vom Deutsch-Französischen Jugendwerk, wo sie als Sekretärin beschäftigt ist, entlassen. Sie beschließt, die Sache in die Hand zu nehmen, und schlägt am 07. November 1968 öffentlichkeitswirksam zu. Andere Aktionen folgen, führen aber erst nach Jahren zum Erfolg. So wird der als „Schlächter von Lyon“ berüchtigte SS-Mann Klaus Barbie nach mühsamen juristischen und politischen Kämpfen im Februar 1983 von Bolivien nach Frankreich ausgeliefert und vor Gericht gestellt. Auch die SS-Männer Herbert Hagen, Ernst Heinrichsohn und Kurt Lischka, die jahrzehntelang unbehelligt von der Justiz in Deutschland leben konnten, werden erst Anfang der Achtzigerjahre in Köln zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Heute, im Jahre 2021, sind die Klarsfelds noch lange nicht fertig. Zwar werden keine Nazi-Mörder mehr gejagt, doch die Gründung des "Memorial de la Shoa" in Paris und die umfangreiche Publikation "Memorial de la Déportation des Juifs des France" sind ebenfalls das Ergebnis ihrer langen Arbeit, die auf den letzten Seiten resümiert und gewürdigt wird. Im Juli 2014 wurde Beate in den Rang einer Kommandeurin der Ehrenlegion, Serge zum Großoffizier erhoben. 2015 wurde ihnen das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen, 47 Jahre nach dem erstklassigen Schlag auf die linke Wange eines ehemaligen Nazi-Funktionärs, nach dem allerdings – wir haben uns zu früh gefreut – noch immer eine Kaserne im oberschwäbischen Laupheim benannt ist.

Und wie wir uns in dieser Rezension vor Beate und Serge Klarsfeld verneigen, verneigen wir uns vor dem Autor Pascal Bresson und der Zeichnerin Sylvian Dorange, die es geschafft haben, uns die ungewöhnliche Biografie eines ungleichen Paares auf ungewöhnliche Weise – nämlich als Comic – zu präsentieren. Die Bewusstwerdung einer ganz normalen jungen deutschen Frau wird zwar zunächst in etwas gestelzten Formulierungen vorgeführt, aber das gibt sich, und im Verlauf der Handlungsstränge wird die Sprache lockerer, wird nicht mehr geredet wie im Seminar, sondern gestritten, getrauert und gelacht, wie es sich gehört. Dabei verzichtet Sylvian Dorange auf physiognomische Genauigkeit, stilisiert Beate mit scharfen, beinahe gefährlichen Zügen entsprechend ihrer politischen Entschlossenheit, gibt Serge dabei den weicheren Part, ohne seine Ausdauer und Beharrlichkeit, seine Wut und seine Freude zu vernachlässigen. Zusammen sind die Klarsfelds unschlagbar, woran sich auch bis heute nichts geändert hat.