von Werner Rügemer
Im Zangengriff des kapitalistisch-militärisch-medialen US-Imperiums wird die EU volkswirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell verarmt, degradiert, mit Kriegshaushalten überzogen und als Stellvertreter in die tödliche US-Geopolitik einbezogen, auch in einen möglichen 3. Weltkrieg. Das hat eine Vor-Geschichte. Und der Ausweg?
Das erste Muster: Marshall-Plan mit NATO. Mit dem Marshall-Plan förderten die USA nach 1945 die Re-Industrialisierung in Westeuropa, aber auch eine neue Industrialisierung durch US-Konzerne. Die Gelder gab es nur, wenn antifaschistische, linke, kommunistische Parteien und nationalbewußte Politiker wie Charles de Gaulle aus den Regierungen vertrieben oder korrumpiert waren. In Griechenland flossen die Gelder erst, als US-Militär die antifaschistische Befreiungsbewegung niedergebombt und die Monarchie wieder eingesetzt hatte. Der Marshall-Plan förderte den Absatz von US-Produkten, die Anbindung der Währungen an den Dollar. Hinzu kam Hollywood-Kultur und neue kapitalfinanzierte Wissenschaft, zu der z.B. die „Kritische Theorie“ gehörte.
Unternehmen und Banken, die NS-Komplizen und Kriegsgewinnler waren, in Deutschland, aber auch im NS-besetzten West-, Nord- und Südeuropa – und auch in den USA selbst – , wurden weder bestraft noch entflochten noch enteignet. Diese Politik war abgesichert durch hard power: Das von den USA geführte Militärbündnis NATO, verstärkt durch US-Militärstützpunkte in den NATO-Mitgliedsstaaten.(1)
In Westeuropa, insbesondere im „westlichen Schaufenster“, dem provisorischen Separatstaat Bundesrepublik Deutschland, blühte deshalb nicht nur der alte Reichtum der NS-Kollaborateure. Auch für große Teile der abhängig Beschäftigten entstand ein steigender Wohlstand: Er war aber nur ein Zugeständnis auf Zeit.
EU-Osterweiterung: abhängiger Oligarchen-Kapitalismus
Ab 1990 organisierten US-Berater die Umgestaltung der ex-sozialistischen Staaten. In der deutschen TreuhandAnstalt dominierten McKinsey, Price Waterhouse Coopers, JP Morgan: Die Unternehmen der sozialistischen DDR wurden zu Schleuderpreisen verkauft, nach einigen Jahren verkleinert oder stillgelegt. Mithilfe von EU Subventionen ersetzten Filialen und Zulieferer westlicher Konzerne die alte Industrie – die Löhne sind auch 30 Jahre später noch niedriger als im „vereinten“ Westdeutschland, junge Menschen wandern aus.
So wurde in den Staaten Osteuropas der Typus des abhängigen Oligarchen-Kapitalismus etabliert: Ausländische Konzerne – Auto-, Energie-, Logistik-, Handels- und Pharmabranche – nutzen die Standorte selektiv für Zulieferfirmen oder Filialen, so etwa der Handelskonzern Amazon. Die Regierungen erlassen Steuern und finanzieren Infrastruktur. Die EU vergibt Subventionen, Gewerkschaften werden geschwächt, Löhne sind niedrig. Die strategischen Entscheidungen fallen im Ausland. Gleichzeitig bilden einheimische Oligarchen privat-staatliche Monopole. Bis zu einem Viertel der arbeitsfähigen Einwohner sind als billige Wanderarbeiter im Ausland unterwegs, saisonal oder dauerhaft, im Bau, in der häuslichen Pflege, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Gastronomie und Prostitution.
Politisch vollzogen wird dies – wie schon bei Marshall-Plan und NATO – durch politisch rechtsgerichtete Regierungen unterschiedlicher Couleur, ob konservativ, liberal oder auch sozialdemokratisch. In Jugoslawien förderten NATO und EU rassistische, rechte bis faschistoide Kräfte und damit die nationalistische Aufspaltung in sechs Kleinstaaten – obwohl dieselben westlichen Propagandisten Nationalismus und Rassismus ansonsten heftig anprangern.(2)
Priorität NATO: Alle osteuropäischen Staaten wurden zuerst Mitglied der NATO, erst danach durften sie Mitglied der EU werden. Weitere Staaten sind schon Mitglied der NATO, so Nordmazedonien, Montenegro und Albanien. Sie bleiben volkswirtschaftlich verarmt, wichtig als Militärstützpunkte in Richtung Russland.
Nur
Russland wehrte sich gegen den US-Zugriff
Zunächst klappte diese Strategie auch gegenüber dem wichtigsten US-Zielstaat, Russland: Der nach 1990 erste, prowestlich-korrupte Präsident Boris Jelzin förderte den Ausverkauf der Unternehmen mithilfe westlicher Investoren und Berater und einheimischer Oligarchen. Die Volkswirtschaft schrumpfte, die Bevölkerung verarmte, Selbstmorde und Alkoholkonsum nahmen zu.
Putin wurde zur Führungsfigur des Widerstands: Der Kapitalismus wurde zwar nicht abgeschafft, wird aber im nationalen Interesse gestaltet. Einige Oligarchen machen mit, einige haben ihren Sitz nach London oder Israel verlegt. Die russische Wirtschaft erholte sich, die NATO blieb draußen: So wurde Russland zum verhetzten Systemfeind – obwohl das NATO-Gründungs-Narrativ „böser Kommunismus“ erstens gefälscht war und zweitens sowieso gegenstandslos ist.
Fazit: Die USA wollen keineswegs die Demokratie und „die freie Marktwirtschaft“ verbreiten, auch nicht „den Kapitalismus“, auch keine volkswirtschaftliche Entwicklung, sondern nur eine selektive Standortpolitik für US- und verbundene westliche Investoren und deren antisoziale private Gewinne. Dies wird abgesichert durch die NATO, zusätzliche US-Militärstützpunkte, US-Berater und -Stiftungen und mithilfe politisch rechter Kräfte.
US-Investoren kaufen europäische Unternehmen
US-Konzerne, Banken und Berater betreiben seit hundert Jahren Filialen in West-Europa, seit 1990 auch in OstEuropa, so Coca Cola, Ford, General Electric, IBM, Esso, UPS, McDonald’s, JP Morgan, McKinsey. Auch die neuen Digitalkonzerne wie Apple, Microsoft, Google, Amazon, Facebook, Uber, AirBnB und USBeratungsfirmen wie Accenture und Freshfields betreiben Filialen in EU-Staaten mit führender Stellung in ihren Branchen.
Aber seit der Jahrtausendwende kaufen US-Kapitalakteure bestehende europäische Unternehmen. Private Equity-Investoren wie Blackstone und KKR („Heuschrecken“) sind spezialisiert auf mittelständische Unternehmen. „Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, bilanzierte Stephen Schwarzman, Chef von Blackstone, nach dem Super Return International, dem Treffen von 5.000 Private-Equity-Managern 2024 in Berlin.(3)
Und die erste US-Kapitalisten-Liga mit BlackRock, Vanguard und Co. ist seit der Finanzkrise ebenfalls auf Einkaufstour. Sie sind nun führende Eigentümer der wichtigsten Unternehmen, Banken, Wohnungskonzerne in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, den Niederlanden usw., auch in der Schweiz. Zum Beispiel sind sie in allen 40 Unternehmen des deutschen DAX vertreten sowie im MDAX.(4) Die meisten Gewinne gehen in die USA, während die Lebensverhältnisse verteuert und die Arbeitseinkommen gesenkt werden, in der gesamten EU.(5)
Dafür werden die Regierungen und die EU beraten von US-Firmen wie McKinsey, Accenture, KPMG, PwC, EY, Freshfields, Standard&Poor’s. Beispiel Deutschland: Zusätzlich waren im Jahre 2022 mindestens 179 ExMitarbeiter dieser Firmen im deutschen Bundeskanzleramt, in Bundesministerien und Bundesbehörden als hochbezahlte Mitarbeiter angestellt.(6) Im deutschen Wirtschaftsministerium unter dem grünen Minister Robert Habeck wurde eine BlackRock-Managerin aus London zur Leiterin der Grundsatzabteilung ernannt. PwC wurde in diesem Ministerium als offizielle Prüfbehörde installiert: US-Berater entscheiden über staatliche Subventionen an Unternehmen bei der Energietransformation.(7)
Deshalb haben die seit dem Ende des 2. Weltkriegs jahrzehntelang regierenden Parteien – ob konservativ, christlich, liberal, sozialdemokratisch – die Mehrheiten der abhängig Beschäftigten verarmt, haben immer weiter an Wählerzustimmung verloren, haben als gemäßigte Rechtskräfte das Erstarken neuartiger Rechtskräfte gefördert: übrigens besonders in Staaten, die noch enger mit den USA verbunden sind: In England und Israel.
Obamas wirtschaftlich-militärische Geopolitik
Die US-Regierung unter Barack Obama ließ sich in der Finanzkrise von BlackRock beraten und förderte dessen globale Expansion. Er förderte das US-Frackinggas und machte es zu einer geopolitischen Waffe. Es ist extrem umweltschädlich, es ist zudem für die Anwohner tödlich: Sie sterben früher. Die USA wurden weltgrößter Exporteur. Obama gab dem Gas dafür einen grünen Anstrich: Er ließ es umbenennen in „natürliches“ Gas, Liquified Natural Gas, LNG. So machen auch grüne Parteien und grüne Investmentfonds bei der militärisch unterstützten Geopolitik mit.(8) Mit dem Ukraine-Krieg setzten die USA ihre Ziele durch:
1. die EU vom russischen Gas abtrennen und vom viel teureren LNG abhängig machen,
2. die EU-Staaten zusätzlich auf noch höhere Kriegshaushalte festlegen, gegen Russland und China.
Deutschland I: De-Industrialisierung
So nahm die EU die US-Gesetze von 2022 zur Re-Industrialisierung der USA ohne Kritik hin: Den Inflation Reduction Act (IRA) und den CHIPS and Science Act.
So schließen energieintensive Chemiekonzerne Abteilungen in Deutschland. Bayer verlagert vor allem in die USA. BASF erweitert mit 10 Milliarden Euro den schon bestehenden, großen Standort in China – dort erweitern auch Covestro und Wacker ihre Produktion. Der erfolgreichste deutsche Heizungsbauer, Viessmann, wurde vom US-Konkurrenten Carrier gekauft. Thyssen-Krupp will – trotz zwei Milliarden an staatlichen Subventionen – tausende Beschäftigte bei der Stahltochter entlassen und den tschechischen Investor Kretinsky beteiligen. US“Heuschrecken“ kaufen Mittelständler, andere Mittelständler machen pleite.(9) US-Berater dominieren beim Arrangement von Käufen und Umstrukturierungen.(10)
Zwei führende deutsche Industriebranchen werden abgeschrumpft: Die Autokonzerne halten sich noch durch Produktion und Verkauf von Luxusautos, in den USA und vor allem in China; die Zulieferer werden in die USA, nach Osteuropa oder China ausgelagert, oder machen dicht, wenn sie beim e-Auto nicht mitkommen. VW will erstmals in Deutschland Werke schließen, Beschäftigte entlassen, den jahrzehntelangen Vertrag mit der Gewerkschaft beenden. Ähnliches gilt für den Maschinen- und Anlagenbau.(11)
Deutschland II: Re-Industrialisierung
Aber auch die Re-Industrialisierung steht unter US-Regie. Apple, Google, Microsoft, Palantir und Co. übernehmen noch mehr die Digitalisierung von Unternehmen, Finanzen, Handel, Medien, Schulen, Wissenschaft, Gesundheit, Infrastruktur und Behörden. Apple, Amazon und Microsoft errichten neue Datenzentren und Clouds. Google führt bei den transatlantischen Unterseekabeln.(12)
Der Pharmakonzern Eli Lilly baut eine neue Fabrik in Rheinland-Pfalz. Intel baut im strukturschwachen Ostdeutschland die größte Chipfabrik Europas – die 10 Milliarden Euro an Subventionen kommen aus allen öffentlichen Haushalten, von der EU, von der deutschen Regierung, von der Landesregierung Sachsen-Anhalt und von der Stadt Magdeburg. Intel lässt sich aber gleichzeitig neue Chipfabriken in Polen und Israel subventionieren.
Der größte Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan, baut ebenfalls im de-industrialisierten Ostdeutschland eine hochsubventionierte Chipfabrik – die europäischen Konzerne Bosch, Infineon und NXP dürfen mit 10 %Anteilen mitmachen. Tesla hat die weitaus größte, subventionierte Fabrik für e-Autos in Deutschland errichtet und will weiter ausbauen, im strukturschwachen Brandenburg.(13) Der US-Chiphersteller Wolfspeed baut eine Fabrik im Saarland, wo die Stahlwerke geschlossen wurden. Wie in den DAX-Unternehmen sind BlackRock&Co. auch führende Aktionäre in den genannten US-Konzernen, aber auch bei TSMC.
Zur Re-Industrialisierung unter US-Dominanz gehört auch die Rüstung. So steht der größte Rüstungskonzern in Deutschland, Rheinmetall, der in den letzten Jahren besonders stark expandierte, nach 150 Jahren deutscher Tradition jetzt unter US-Regie: Der größte Aktionär heißt nun BlackRock, danach folgen Bank of America und Goldman Sachs.
Kaputte Infrastruktur: Bahn, Brücken, Atomabfälle …
Gleichzeitig bleiben elementare industrielle Strukturen Deutschlands auf dem Niveau kolonial verarmter Staaten:
(1) Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten, zunächst vom 1. zum 2. Weltkrieg, Köln 2023, Seite 241 ff.
(2) Werner Rügemer: Imperium EU. ArbeitsUnrecht, Krise, neuer Widerstand. Köln 2020
(3) „Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, Handelsblatt 7.6.2024
(4) Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, 4. aktualisierte Auflage, Köln 2024
(5) Reallöhne in der EU deutlich unter Vorkrisenniveau, Hans Böckler-Stiftung 1.7.2024
(6) Bundesregierung gibt 580 Millionen Euro für Berater aus, Der Spiegel 11/2022
(7) PwC: Wie Habecks Haus eine Beratungsfirma glücklich macht, Die Zeit 39/2023
(8) Werner Rügemer: Tödliches Fracking, telepolis.de 29. März 2022
(9) Firmeninsolvenzen auf Zehn-Jahres-Hoch, ntv.de 8.8.2024
(10) Werner Rügemer: Waschstum pervers – Die neuen „Dealmaker“ der deutschen Wirtschaft, nachdenkseiten.de 22.9.2023
(11) Deutscher Maschinenbau auf Talfahrt, PwC Frankfurt/Main 22. 4.2024
(12) Amazon investiert 10 Milliarden Euro in Deutschland, FAZ 20.6.2024
(13) Tesla wants to double size of plant near Berlin, New York Times 22.7.2023
(14) Brückensanierung wird teurer als gedacht, tagesschau.de 8.5.2024
(15) Endlager für Atommüll verzögert sich, zdf.de 7.8.2024
(16) Der Billionenplan für die Ukraine, Wirtschaftswoche 21.6.2023
(17) DPWV: Paritätischer Armutsbericht 2024. Berlin März 2024
(18) „So wird Europa irrelevant“, FAZ 12.6.2024
(19) Ein Schutz, den niemand will. Warum die deutsche Autoindustrie Strafzölle auf China-Importe ablehnt, FAZ 2.7.2024
(20) Hungary’s Orban meets China’s Xi in mission to end Russia-Ukraine war, Al Jazeera 9 Jul 2024
(21) Russia overtook US as gas supplier to Europe in May, Financial Times 15.06.2024
(22) ECFR: The art of vassalisation – How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations, 4 April 2023
(23) IW: Konkurrenzdruzck aus China für deutsche Firmen, IW-Report 30/2024, Seite 6
(24) Werner Rügemer: BlackRock & Co. enteignen! 3. Auflage Frankfurt/Main 2023, siehe auch www.blackrocktribunal.de: Materialien und Veranstaltungen
Der Beitrag unseres Autors Werner Rügemer erschien bereits auf gewerkschaftsforum.de sowie in der Ausgabe 11-12/2024 der Zeitschrift Hintergrund (Berlin)
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