von Bernd Hontschik
10.12.2022
Seit 2017 gibt es am Kreiskrankenhaus Alsfeld keine Geburtshilfe
mehr, obwohl der Landkreis alles versucht hatte,
um die Abteilung aufrecht zu erhalten. Im Jahr 2018
schloss die Geburtshilfe im Agaplesion Markus-
Krankenhaus in Frankfurt, ein Jahr später folgten das Kaiserin-
Auguste-Victoria-Krankenhaus in Ehringhausen, das
Marienhospital in Darmstadt, das Diakoniekrankenhaus in
Wehrda und das St. Elisabeth-Krankenhaus in Volkmarsen.
Die Geburtsklinik im Hospital zum Heiligen Geist im
nordhessischen Fritzlar steht auch schon auf der Abschussliste,
denn sie überlebt auch nur mit Querfinanzierung
durch lukrativere Abteilungen.
Die Begründungen für den Kahlschlag waren und sind
immer gleich: zu wenig Geburten, Personalknappheit, zu
hohe Kosten, unzureichende Finanzierung. Es ist schon
eine bittere Ironie, dass das Sterben von Krankenhäusern
meistens mit der Schließung der Geburtshilfe beginnt, und
das alles geschieht planlos, nur nach Bilanz, nicht bedacht
und nicht nach Bedarf.
2023 wird es in den Lahn-Dill-Kliniken in Dillenburg, dem
zweitgrößten kommunalen Krankenhaus in Hessen, keine
geburtshilfliche Station, keinen Kreißsaal mehr geben. Das
dortige Belegarztsystem ist gescheitert, weil die gynäkologischen
Fachärzte gekündigt haben und keine Nachfolger
gefunden werden konnten. Das Hessische Sozialministerium
„bedauert“ das, betont aber, dass die Versorgung der
Schwangeren weiterhin gesichert sei. Na ja, dann ist ja
alles halb so schlimm, oder? Man fragt sich, wozu es denn
diese Station mit ihren etwa 500 Entbindungen im Jahr
überhaupt je gegeben hat, wenn doch auch ohne sie alles
„gesichert“ ist. Ein Personalmangel sei nur vorgeschoben,
der wahre Grund seien die roten Zahlen, sagt Martina
Klenk, die erste Vorsitzende des Landesverbands der hessischen
Hebammen: "Krankenhäuser werden nur noch
nach Wirtschaftlichkeit beurteilt, nicht mehr als soziale
Institution." Und wenn man weiß, dass Hebammen knapp
10000 Euro im Jahr für ihre Berufshaftpflichtversicherung
zahlen müssen, geburtshilflich tätige Gynäkolog:innen gar
70000 Euro, dann wundert man sich, das sich für diese
Arbeit überhaupt noch jemand findet. Inzwischen sind
ganz Nordhessen und ländliche Bezirke wie der Vogelsbergkreis
geburtshilfliche Wüsteneien, aber die Landesregierung
hält die Versorgung dennoch für „gesichert“.
In den vergangenen zehn Jahren wurden dreizehn geburtshilfliche
Stationen in Hessen aufgegeben. Auch im Heilig-
Geist-Hospital in Bensheim gibt es seit Oktober 2019 keine
Geburten mehr. Jedes Jahr waren dort etwa 500 Kinder
auf die Welt gekommen. Das Hospital war 2016 an den
privaten Klinikbetreiber Artemed verkauft worden, der die
Schließung mit Personalmangel begründete. Da kamen
einige Hebammen, lokale Politiker:innen und tätige Bürger:
innen zu einem Trägerverein für ein Geburtshaus zusammen.
Sie überwanden alle Hürden, und sogar trotz der
Stornierung von ursprünglich zugesagten Landeszuschüssen
konnte das Geburtshaus am 1. April 2021 eröffnet
werden, ein gutes Jahr später feierte man dort die einhundertste
Geburt! Aber solche Geburtshäuser können stationäre
Geburtshilfe im Krankenhaus nicht ersetzen, beides
wird gebraucht, beides ist unverzichtbar.
Seit 2015 sind in
Deutschland 115
geburtshilfliche Stationen
und Kreißsäle
geschlossen worden
oder sind unmittelbar
von Schließung bedroht. Gab es 1991 noch etwa 1200
Kliniken, in denen Geburten möglich waren, so sind es
heute, knapp 30 Jahre später, nur noch etwas mehr als die
Hälfte. Kann das immer so weitergehen? Ein erster Schritt
zur Lösung des Problems wäre es, die katastrophale Unterfinanzierung
der Geburtshilfe im diagnoseorientierten
System der Krankenhausfinanzierung zu beenden. Erfahrene
Hebammen wissen, dass eine Entfernung vom Wohnort
zum Kreißsaal von mehr als dreißig Minuten nicht zu
verantworten ist. Wenn die Wege vom Wohnort zum
Kreißsaal also immer länger werden, wird es immer häufiger
zu Komplikationen kommen, für Mutter und Kind.
Mehr zum Autor: Eine Rezension des aktuellen Buches von Bernd Hontschik "Heile und Herrsche" findet man hier
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