von Bernd Hontschik
01.09.2022
Vor lauter Corona, Krieg und Klima blieb fast unbemerkt, dass
Gesundheitsminister Karl Lauterbach am 2. Mai eine „Regierungskommission
für eine moderne und bedarfsgerechte
Krankenhausversorgung“ vorgestellt hat. Er wolle mit ihrer
Hilfe „ab 2023 die größte Krankenhausreform der vergangenen
20 Jahre anpacken.“ Es gab sofort Ärger über die Zusammensetzung
dieser Kommission, denn unter ihren 16
Mitgliedern ist kein einziger Krankenpfleger, keine Krankenschwester
zu finden, auch keine einzige Oberärztin, kein
Oberarzt und keine einzige Assistenzärztin, kein Assistenzarzt,
keine einzige Krankenkasse ist vertreten, dagegen Professor:
innen der Ökonomie, des Öffentlichen Rechts oder der
Gesundheitswissenschaften, gewürzt mit ein paar Chefärzten.
Zur allgemeinen Überraschung hat sich diese Kommission
bereits Anfang Juli, also schon nach zwei Monaten, mit einer
ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet, nämlich mit Empfehlungen
für eine bessere Finanzierung von Pädiatrie, Kinderchirurgie
und Geburtshilfe. Warum so schnell und warum
zuerst ausgerechnet diese drei Fächer? Weil es dort lichterloh
brennt!
Der Irrsinn der Krankenhausfinanzierung nach Schwere der
Diagnosen, dem sogenannten DRG-System, hat in den letzten
zwanzig Jahren zu einer katastrophalen Unterfinanzierung
von Kinderheilkunde und Kinderchirurgie geführt. Diese Fächer
sind erlösschwach
und werden von den Krankenhausträgern
oft nur
noch als ein defizitäres
Anhängsel geführt. Innerhalb
der Pädiatrie können
sich ertragsstärkere Subdisziplinen wie Onkologie oder Neonatologie
gerade noch so über Wasser halten, während die
dringend erforderliche Allgemeine Pädiatrie überall zusammengestrichen
wird. Eine Reihe von Kinderkliniken wurde
verkleinert oder ganz geschlossen. Insgesamt sank die Bettenzahl
im Land um ein Drittel, während die Fallzahlen immer
weiter gestiegen sind. Es geht dabei nicht um die Gesundheit
der Kinder, sondern um die Gesundheit der Bilanzen.
Genau das gleiche fatale Spiel geschah und geschieht mit
Kreißsälen und Geburtsstationen. 2018 wurden dreizehn
Kreißsäle geschlossen, 2019 neunzehn, 2020 sieben und 2021
elf –macht zusammen fünfzig in vier Jahren! Das geschah
nicht etwa, weil sie nicht mehr benötigt worden wären, sondern
wegen „Unterfinanzierung“ im DRG-System, die das
Krankenhaus nicht mehr stemmen konnte. Trotz steigender
Geburtenzahlen schlug aus diesem Grund in den letzten fünfzehn
Jahren für ein Drittel aller Geburtsstationen das letzte
Stündlein. Die Folgen sind katastrophal. Immer mehr Geburten
in immer weniger Kreißsälen in immer größerer Entfernung
vom Wohnort lassen negative Geburtserfahrungen zur
Regel werden, Komplikationen nehmen zu.
Deswegen also hat sich die Regierungskommission zuerst mit
diesen drei Fächern befasst. Die anfängliche Freude darüber
war aber rasch verflogen. Statt eines zukunftsweisenden
großen Wurfs empfiehlt die Kommission unter kritikloser
Beibehaltung des zerstörerischen DRG-Systems lediglich ein
paar Zuschläge zu eben diesen DRGs sowie zusätzliche Vergütungsvolumina,
die immer kleiner werden, je größer die Klinik
ist. Alle betroffenen Fachverbände prophezeien eine Verschärfung
der jetzt schon vorhandenen Probleme. Das ist ein
veritabler Fehlstart für diese „größte Krankenhausreform der
vergangenen 20 Jahre“.
Eine Krankenhausreform kann nur gelingen, wenn es durchdachte
Pläne für die Verteilung von kleinen, mittelgroßen und
großen Häusern sowie Universitätskliniken für sämtliche
Regionen unseres Landes gibt. Sie kann nur gelingen, wenn
entsprechend den Aufgaben und der Größe eines Krankenhauses
ein pauschaliertes Finanzierungskonzept eingerichtet
wird, befreit von diagnosegesteuerten Fehlanreizen. Sie kann
nur gelingen, wenn Gemeinnützigkeit die alleinige Organisationsform
ist, gleichgültig ob es sich um private, öffentliche
oder kirchlich geführte Häuser handelt. Dann werden die
börsennotierten Krankenhauskonzerne genauso schnell verschwunden
sein, wie sie aufgetaucht sind. Medizin könnte
wieder möglich werden.
Mehr zum Autor: Eine Rezension des aktuellen Buches von Bernd Hontschik "Heile und Herrsche" findet man hier
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