von Bernd Hontschik
14.08.2022
Über den Verkauf der Universitätskliniken Marburg und
Gießen an einen börsennotierten Konzern ist in den vergangenen
sechzehn Jahren eigentlich schon alles gesagt
worden. Die Hessische Landesregierung hatte ihre gesetzlichen
Verpflichtung der Krankenhausfinanzierung jahrelang
und so lange ignoriert, bis die Kliniken in ihrer Bausubstanz
soweit heruntergekommen waren, dass CDU
und FDP sie für den Spottpreis von 116 Millionen Euro an
den Rhön-Konzern verkaufen konnten, der seinen Aktionären
seitdem zehn Prozent Rendite zukommen lässt. Die
Landesregierung unter Roland Koch brüstete sich lauthals,
den Landeshaushalt von der millionenschweren Last
notwendiger Investitionen und Unterhaltskosten befreit
zu haben. Was dem ärztlichen und pflegerischen Personal
damit angetan wurde, interessierte nicht. Was das für die
Medizin bedeutete, interessierte auch nicht. Heute wissen
wir aber, dass alles sowieso ganz anders gekommen
ist. Denn niemand weiß ja, was in dem Kaufvertrag von
2006 eigentlich vereinbart worden ist. Der Vertragstext
ist nach wie vor geheim. Warum ist dieser Vertrag wohl
geheim? Misstrauen ist angesagt.
Versprechungen wurden nicht eingehalten, Verträge
wurden gebrochen, die Öffentlichkeit wurde immer wieder
getäuscht, Erpressung war und ist an der Tagesordnung,
aber das Schlimmste ist: Seitdem lässt sich jede
Hessische Landesregierung am Nasenring durch die Manege
führen. Nicht einen einzigen Euro hat der Verkauf
der Universitätskliniken erspart, im Gegenteil. Vor kurzem
hat die Hessische Landesregierung sogar eine halbe
Milliarde Euro für den Konzern locker gemacht, um die
privatisierten Universitätskliniken „zu fördern“!
Und in der ganzen langen Reihe von Tricks und Täuschungen
ist aktuell nun die Partikeltherapie an der Reihe. Die
Partikeltherapie war 2006 eine der großen und groß angekündigten
Versprechungen des Rhön-Konzerns, um die
Vorteile der Privatisierung der Unikliniken anzupreisen.
Bei der Partikeltherapie handelt es sich um eine Sonderform
der Strahlentherapie zur Behandlung bösartiger
Tumoren. Zur Anwendung kommen positive Ionen. Große
Hoffnungen ruhen auf ihr. Die Partikeltherapie ist mit
einem hohen technischen und apparativen Aufwand verbunden
und der konventionellen Strahlentherapie überlegen,
denn nicht nur das Bestrahlungsfeld lässt sich
punktgenau konfigurieren, sondern auch die Bestrahlungstiefe.
In Deutschland gibt es bislang nur zwei Zentren,
die diese Therapie anwenden können, in Heidelberg
und eben in Marburg.
Und nun verkündet Christian Höftberger, der Vorstandsvorsitzende
der Rhön-Klinikum AG, dass diese Technik in
Marburg „an ihr Ende kommen wird, weil sie anscheinend
zu komplex ist“. Eingeweihte wissen natürlich, dass diese
technischen Argumente nur vorgeschoben sind, um die
betriebswirtschaftliche Logik der Argumentation zu verschleiern.
Die Technik sei zu teuer, zu aufwändig und
nicht rentabel. Und so ist die Partikeltherapie in Marburg
ein eklatantes Beispiel dafür, was mit der Medizin passiert,
wenn sie rote Zahlen schreibt: Sie wird gestrichen,
geschlossen und eingestellt. Ein Versorgungsauftrag oder
die Gesundheit der Betroffenen sind dabei völlig gleichgültig.
Was hier geschieht, ist nicht verboten. Es folgt der einfachen
Logik jedes Unternehmens: Kosten senken, Einnahmen
steigern, Gewinne ausschütten. Ob das Klopapier,
Elektroautos oder Gesundheitsleistungen sind, ist dem
Kapital völlig gleichgültig, Hauptsache es vermehrt sich.
Wenn Krankenhäuser in Konzernbesitz geführt werden
wie jedes andere Unternehmen, dann hat die Medizin
abgedankt. Es gibt nur einen Ausweg, und das ist die
Gemeinnützigkeit. Koste es, was es wolle.
Mehr zum Autor: Eine Rezension des aktuellen Buches von Bernd Hontschik "Heile und Herrsche" findet man hier
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