Berliner Mietendeckel
Foto: Helmuth Weiss

Berliner Mietendeckel verfassungswidrig ?

Grundgesetz, Menschenrechte und Demokratie besagen etwas anderes!

von Werner Rügemer*

Am 25. März 2021 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Der Berliner Mietendeckel ist verfassungswidrig! Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen von Berlin sei deshalb nichtig. Aber: An diesem Urteil sind Zweifel angebracht.

 

CDU, CSU, FDP: Lobbyisten von 1990 bis 2020

Schon mal vorausgeschickt: Die Wohnungskatastrophe in Deutschland wurde 1990 eingeleitet: Da hatte die Bundesregierung von CDU, CSU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Gemeinnützigkeit öffentlicher Wohnungsgesellschaften abgeschafft.

Und jetzt 2020 waren es Abgeordnete genau dieser selben Parteien CDU, CSU und FDP: Sie brachten eine Normenkontrollklage gegen den Berliner Mietendeckel vor das Gericht. Die Verursacher der Wohnungskatastrophe haben nichts dazugelernt. In den letzten Jahren flossen die Spenden der Spekulanten besonders kräftig.

Die Verursacher der Wohnungskatastrophe haben nichts dazugelernt. In den letzten Jahren flossen die Spenden der Spekulanten besonders kräftig.

Der Mietendeckel des Berliner Senats aus SPD, Grünen und Linken war im Februar 2020 inkraft getreten. Damit waren die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Die Mieten sollten erst ab 2022 wieder steigen dürfen, zum Inflationsausgleich, höchstens um 1,3 Prozent pro Jahr. Wenn eine Wohnung neu vermietet wird, gelten Obergrenzen nach Mietspiegel. Mieten, die mehr als 20 Prozent über dem Mietspiegel lagen, mussten gesenkt werden. Wohnungen, die nach 2014 gebaut wurden, waren ausgenommen. Der Deckel war auf fünf Jahre befristet. Ein tiefer Eingriff war das nicht. Aber den Investoren und ihren Lobbyisten war das zuviel.

Steigende Gewinne trotz Mietendeckel und „Corona“

Die öffentlichen Wohnungen auch in Berlin wurden zuerst von den „Heuschrecken“ wie Fortress und Cerberus überfallen und dann seit der Finanzkrise 2008 von den neuen Kapitalmächtigen wie BlackRock, State Street und Norges zu neuen Konzernen zusammengeschoben. So stiegen die Mieten in Berlin bei Neuverträgen zwischen 2013 und 2019 um durchschnittlich 27 Prozent. Gleichzeitig stagnierten viele Arbeitseinkommen, in der Pandemie geht das mit Kurzarbeitergeld und wegfallenden Nebenjobs weiter. Die Konzerne hielten sich zur Imagepflege etwas zurück, verschoben einige Mietsteigerungen und stundeten betroffenen Mietern die Zahlung.

Aber trotzdem steigerten alle ihre Gewinne. Pünktlich zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts gaben sie stolz bekannt: *der größte Wohnungskonzern Vonovia hat ein paar zehntausend Wohnungen dazugekauft und schüttet 915 Millionen an BlackRock& Co aus *der zweitgrößte Konzern Deutsche Wohnen stieg auch wegen Zukaufs von Pflegeheimen 2020 in den DAX auf und schüttet 350 Millionen aus *der drittgrößte Konzern LEG hat 9.535 Wohnungen zugekauft und schüttet 272 Millionen an mehr oder weniger dieselben Aktionäre aus.

Nach der Pandemie wird es mit den paar Rücksichten vorbei sein, zusätzlich beflügelt durch das Urteil. So würde es weitergehen mit der Wohnungskatastrophe – wenn die Verursacher nicht ausgebremst werden.

Urteil: vordergründig im Investoren-Interesse

Ohnehin steht die Begründung des Gerichts auf wackeligen Füssen: Die Bundesländer seien zur eigenen Gesetzgebung nur dann berechtigt, wenn der Bund nicht eingreife. Aber er tut es, und mit den Paragraphen 556 bis 561 des Bürgerlichen Gesetzbuchs BGB sei alles „umfassend und abschließend“ geregelt.

Die Artikel regeln aber nur, und reichlich vage: Betriebskostenpflicht, Mieterhöhungen, ortsübliche Vergleichsmiete, Mieterhöhung durch Modernisierungen, Sonderkündigungsrecht des Mieters nach einer Mieterhöhung. Der härteste Eingriff steht in Artikel 556 d „Zulässige Miete bei Mietbeginn in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten“: Dies wird umgangssprachlich als „Mietpreisbremse“ bezeichnet. Die hat aber bekanntlich keinen Mietpreisanstieg gebremst, und schon gar nicht in „angespannten Wohnungsmärkten“.

Also: Im Vergleich zu den massiven Umgestaltungen seit 1990 und zur Explosion von Mieten, Nebenkosten und auch der Preise für Eigentumswohnungen erweist sich das vom Gericht zitierte Bundesrecht als unwirksam: Nichts ist „umfassend und abschließend“ geregelt, im Gegenteil.

Wenn Bundesländer investorengefällige Gesetze machen, dann hat das Hohe Gericht nichts einzuwenden. Das Urteil folgt den verbissenen Lobbyisten der Investoren

Das Urteil ist noch weiter fragwürdig. Es bestreitet die Gesetzeskompetenz der Bundesländer. Aber, nur zum Beispiel: Im Mieterschutzgesetz 2020 der NRW-Landesregierung unter Armin Laschet, jetzt Kanzlerkandidat der CDU, ist das bisher mögliche Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ersatzlos gestrichen! Wenn Bundesländer investorengefällige Gesetze machen, dann hat das Hohe Gericht nichts einzuwenden.

Das Urteil folgt den verbissenen Lobbyisten der Investoren. Hat da etwa die Ernennung 2020 des CDU-Abgeordneten und Großverdiener-Unternehmeranwalts Stephan Harbarth zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts schon Wirkung gezeigt?

Gestalten und Enteignen nach Grundgesetz und Menschenrechten!

Soziale Spaltung ist mit Demokratie nicht verträglich. Deswegen ist das grundgesetzliche Gebot des Gemeinwohls und die Möglichkeit der Enteignung heranzuziehen.

Und der UN-Sozialpakt, von Deutschland ratifiziert, enthält nach dem Vorbild der Allgemeinen Menschenrechte das Menschenrecht auf eine angemessene bezahlbare Wohnung. Schon vergessen?

Soziale Spaltung ist mit Demokratie nicht verträglich. Deswegen ist das grundgesetzliche Gebot des Gemeinwohls und die Möglichkeit der Enteignung heranzuziehen.

Zur Umsetzung sind aber nachhaltige Aktivitäten nötig. Die Gewerkschaft verdi hat in ihren Anforderungen an die Wahlprogramme 2021 wichtige Forderungen zusammengefasst, unter anderem:

*Vor allem Kommunen müssen neue gemeinnützige Wohnungsgesellschaften gründen. Dazu stellt der Staat seine äußerst günstigen Kredite zur Verfügung.
*Die Finanzierungsform Public Private Partnership PPP/ÖPP kommt in die Mottenkiste.
*Die dubiosen Share Deals werden ersatzlos gestrichen, mit denen die Investoren die Grunderwerbssteuer umgehen und die öffentlichen Haushalte verarmen.
*Die Mietervereine erhalten ein Verbandsklagerecht.
Und aktuell: Die Unterschriftensammlung in Berlin für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ geht weiter, mit bundesweiter Unterstützung. Bis August werden nicht nur die restlichen der benötigten 175.000 Unterschriften gesammelt, sondern viel mehr!

Und die Arbeitsverhältnisse?

Ach so, fast hätten wir was wichtiges vergessen. Über 250.000 Beschäftigte sind in der Wohnungsverwaltung tätig: Hausmeister, Handwerker, Reinigungskräfte, Verwalter, Techniker.

Allerdings wurden die Arbeitsverhältnisse von Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG & Co systematisch verschlechtert: Tarifverträge werden verweigert, Arbeiten werden in Niedriglohn-Subunternehmer ausgelagert.

Vonovia hat neue Tochterfirmen gegründet, da gibt es keinen Tarifvertrag. Bei der LEG und deren 145.000 Wohnungen kümmern sich 406 Beschäftigte der Firma TSP um Heizungen, Sanitäres, Maler- und Holzarbeiten, Grünflächen. Während der Pandemie haben sie mit verdi an 18 Tagen hilfsweise digital gestreikt, für einen Tarifvertrag. Die Forderungen ergeben zusammen 0,9 Millionen Euro – abgelehnt. Aber allein dem Vorstandschef Lars von Lackum genehmigten BlackRock&Co eine um 1,4 Millionen erhöhte Jahresvergütung.

Also da gibt es für verfassungsgemäße, soziale und demokratische Verhältnisse einiges zu tun!



* Werner Rügemer

Dr. Werner Rügemer, Köln, Publizist, hat an der damaligen Reformuniversität Bremen 1979 seine Doktorarbeit im Bereich philosophischer Anthropologie und Soziologie verfasst. Bis 2017 Lehrbeauftragter an der Universität Köln. www.werner-ruegemer.de

Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts", Papyrossa-Verlag Köln 2018, 3. Auflage 2021 mit neuem Vorwort zum Systemwettbewerb zwischen dem
Westen und China. 19,90 Euro.

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