Ungleichheit weltweit
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Ungleichheit weltweit


von Helmuth Weiss



In einer Seitenspalte des Weserkuriers vom 25.4.23 wird schon in der Überschrift ein positive Nachricht verbreitet: „Private Vermögen sind gewachsen“. Doch damit nicht genug:“Insbesondere bei Haushalten mit geringem Vermögen gab es relativ zu den vorhandenen Beständen starke Zuwächse“. Um zu großem Optimismus entgegen zu treten wird aber einschränkend festgestellt: „Im europäischen Vergleich bleibe das Vermögen aber weiter ungleich verteilt“. Und am 22.7 verkündete der Weserkurier in einer Überschrift: „Warum die Menschen in Deutschland wieder reicher werden“.

Das soll zum Anlass genommen werden, einen etwas genaueren Blick auf die Vermögens- und Einkommensverteilung in Deutschland und vor allem weltweit zu werfen, erzählen doch nationale Statistiken aufgrund der verwendeten Durchschnittszahlen und der weltweiten ökonomischen Verflechtungen und Verschiebemöglichkeiten nur eine eingeschränkte Geschichte.

Das Datenmaterial dafür liefert der „Bericht zur weltweiten Ungleichheit 2022“ des World Inequality Lab, das einen umfangreichen und offenen Zugang zu der umfangreichsten Datenbank über die historische Entwicklung der globalen Einkommens- und Vermögensverteilung sowohl innerhalb von Ländern als auch zwischen Ländern bietet (wid.world). Den gesamten Bericht für 2022 (englisch, pdf mit 236 Seiten und auch eine kurze deutschsprachige Zusammenfassung) kann man hier ((https://wir2022.wid.world/)) erhalten. Ein Netzwerk von über 100 Wissenschaftlern aus allen Teilen der Welt trägt dieses Datenmaterial zusammen. (Alle folgenden Zitate und Abbildungen stammen, soweit nicht anders vermerkt, aus diesen Berichten).

Reiche und Habenichtse
Dass weltweit die Einkommens- und Vermögensungleichheiten sehr groß sind, wird heutzutage niemanden mehr besonders überraschen. Doch das Ausmaß der Diskrepanz zwischen Reichen und Habenichtsen lässt einen doch immer wieder sprachlos zurück: „Die reichsten 10% der Weltbevölkerung beziehen derzeit 52% des weltweiten Einkommens, während die ärmste Hälfte der Bevölkerung 8,5% davon erhält. Im Durchschnitt verdient eine Person aus den obersten 10% der weltweiten Einkommensverteilung 87.200€ (122.100 USD) pro Jahr, während eine Person aus der ärmsten Hälfte der globalen Einkommensverteilung 2.800 € (3.920 USD) pro Jahr verdient (Abbildung 1). Die globalen Vermögensungleichheiten sind noch ausgeprägter als die Einkommensungleichheiten. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung besitzt, mit nur 2% des Gesamtvermögens, kaum Vermögen. Im Gegensatz dazu besitzen die reichsten 10% der Weltbevölkerung 76% des gesamten Vermögens. Im Durchschnitt besitzt die ärmste Hälfte der Bevölkerung 2.900 € pro Erwachsenen, d. h. 4.100 USD, während die obersten 10% über durchschnittlich 550.900 € (oder 771.300 USD) verfügen.“


Globale Einkommens- und Vermögensungleichheit

Entwicklung der Ungleichheit in den letzten 200 Jahren
Verblüffend allerdings ist eine Betrachtung der Entwicklung der letzten 200 Jahre, die so manchen, der „on the long run“ eine schrittweise Angleichung der materiellen Verhältnisse weltweit durch den Kapitalismus annimmt, eines Besseren belehrt. „Tatsächlich ist der Einkommensanteil der ärmsten Hälfte der Weltbevölkerung heute etwa halb so hoch wie im Jahr 1820“. Oder anders ausgedrückt: War das Durchschnittseinkommen der weltweit obersten 10 % im Jahr 1820 18-mal höher als das Durchschnittseinkommen der unteren 50 %, so lag im Jahr 2020 das Durchschnittseinkommen der weltweit obersten 10 % 38-mal höher als das Durchschnittseinkommen der unteren 50 %.

Globale Einkommensungleichheit 1820-2020

Der ungeheure Reichtum, den die kapitalistische Produktionsweise hervorgebracht hat hat also nur wenige Egalisierungstendenzen mit sich gebracht, die Möglichkeiten, an diesem Reichtum teilzunehmen und so etwas wie eine „reiche Individualität“ auszubilden, blieben – bei allen Fortschritten im Einzelnen - für die Mehrheit der Menschen während der letzten 200 Jahre auf niedrigstem Niveau.

Nationen werden reicher, Regierungen ärmer
Was die Verteilung des Reichtums angeht, zeigt sich in den vergangenen Jahrzehnten eine weitere Tendenz, die einen erheblichen Einfluss auf das Handeln der Staaten und damit auf die Existenzbedingungen vieler Menschen hat. Während die Volkswirtschaften in den vergangenen 40 Jahren signifikant reicher geworden sind, wurden die Regierungen deutlich ärmer. „Das bedeutet, dass sich das gesamte Vermögen in privater Hand befindet (Abbildung 8)

Anstieg des Privatvermögens

Wenn also das öffentliche Vermögen, wie das Beispiel des Vereinigten Königreichs eindrucksvoll zeigt, von 60 % des Nationaleinkommens 1970 auf – 106 % (minus !!!) 2020 zurückgegangen ist, so wird klar, welchen Einschränkungen und welchen Handlungsbarrieren staatliche Institutionen gegenüber stehen. In fast allen westlichen reichen Industriestaaten ist diese Tendenz zu beobachten. Der Handlungsspielraum, die Steuerfähigkeit staatlicher Kapazitäten geht gegen null, private Kapitalbesitzer bestimmen aufgrund ihrer ökonomischen Macht das Geschehen in der Zukunft weitgehend, solange hier nicht drastisch entgegen gesteuert wird.

Betrachtet man die westlichen Industriestaaten genauer, so zeigt sich zwar eine Verringerung der Vermögensungleichheit – doch das trifft nicht für alle zu. Denn „die ärmste Hälfte der Bevölkerung in diesen Ländern besitzt seit jeher sehr wenig, genauer zwischen 2% und 7 % des Gesamtvermögens. In anderen Regionen ist der Anteil der unteren 50 % sogar noch geringer“.

Viel getan hat sich an der Spitze der Verteilungspyramide: „Den obersten 1 % der Vermögenden floss 38% des gesamten seit Mitte der 1990er Jahre neu akkumulierten Vermögens zu, während die unteren 50 % nur 2 % davon erhielten….Das Vermögen der reichsten Menschen der Welt ist seit 1995 um 6 bis 9 % pro Jahr gewachsen, während das durchschnittliche Vermögen der gesamten Weltbevölkerung um 3.2 % pro Jahr gewachsen ist. Seit 1995 ist der Anteil, den die reichsten 0,01 % am weltweiten Vermögen halten, von 7 % auf 11 % gestiegen“.

Frauen bleiben abhängig
Es erstaunt nur wenig, dass bei diesen Entwicklungen wir noch weit von einer Geschlechterparität entfernt sind. Der Anteil des von Frauen erwirtschafteten Einkommens am weltweiten Einkommen hat sich zwischen 1990 und 2020 nur geringfügig von 30,6 % 1990 auf 34,7 % 2020 erhöht. Männer erhalten also im Augenblick 65 % des weltweiten Arbeitseinkommens, weiterhin ist die finanzielle Abhängigkeit vieler Frauen erdrückend groß – das Patriarchat lebt!

Reichtum und Umweltverschmutzung
Schließlich lohnt noch ein Blick auf die globale Co2 Ungleichheit. Die nachfolgende Statistik spricht eigentlich für sich:

CO2-Ungleichheit weltweit

„ In Europa emittieren die unteren 50% der Bevölkerung etwa fünf Tonnen pro Jahr und Person; die unteren 50 % in Ostasien emittieren rund drei Tonnen und die unteren 50 % in Nordamerika rund 10 Tonnen. Dies steht im krassen Gegensatz zu den Emissionen der obersten 10% in diesen Regionen (29 Tonnen in Europa, 39 in Ostasien und 73 in Nordamerika). Der vorliegende Bericht zeigt auch, dass die ärmste Hälfte der Bevölkerung in reichen Ländern die Klimaziele der reichen Länder für 2030 bereits erreicht (oder fast) erreicht hat, wenn diese Ziele pro Kopf ausgedrückt werden. Dies ist bei der oberen Hälfte der Bevölkerung nicht der Fall. Große Ungleichheiten bei den Emissionen legen nahe, dass die Klimapolitik stärker wohlhabende Umweltverschmutzer*innen in den Blick nehmen sollte.“

Und wie sieht es in Deutschland aus ?
Es ist kaum verwunderlich, dass die generellen Tendenzen des Kapitalismus auch für Deutschland gelten. Wie in jedem Land, gibt es auch hier länderspezifische Besonderheiten, die dem allgemeinen Trend jedoch nicht widersprechen.
Welche Ergebnisse liefert uns nun das World Inequality Lab: Was die Einkommensungleichheit in Deutschland anbetrifft, so verdienen die oberen 10 % im Durchschnitt das Zehnfache der unteren 50 %. Das Verhältnis ist damit etwas höher als in Frankreich (7), aber kleiner als in den USA (17) oder in China (14). Zwar war die Ungleichheit in Deutschland bis in die 80er Jahre aufgrund einer steuernden Sozialpolitik verringert worden, doch dem setzte die neoliberale Politik seitdem ein Ende, der Einkommensanteil der oberen 10 % stieg deutlich an.

Ein ähnliches Bild zeigt die Vermögensungleichheit in Deutschland. Lag der Vermögensanteil der obersten 1 % zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch bei knapp über 45 %, so sank er bis in die 90er Jahr auf ca. 20-25 %. Seitdem ist ein erneuter leichter Anstieg festzustellen. Diese Zahlen ähneln denen in Frankreich und Großbritannien, während der Vermögensanteil der obersten 1% in den USA bei fast 40 % liegt.

Auch bei der Ungleichheit der Geschlechter ist Deutschland kein Vorbild, der Anteil der Frauen am Erwerbseinkommen liegt bei 36 %, etwas niedriger als in Frankreich oder Großbritannien.

Auch bei der Klimapolitik leistet sich Deutschland keinen „Ausreißer“ im positiven Sinne. Auch wenn Deutschland einer der höchsten CO2 Emittenten ist. Während der Durchschnitt bei den Fußabdruckemissionen in der EU bei 9,5 t liegt, beträgt er in Deutschland mehr als 11 t. Die oberen 10 % emittieren im Durchschnitt 34 Tonnen, also sechsmal mehr als die unteren 50 %. Sollte Deutschland seine Verpflichtung einhalten, seine Emissionen um 55 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken – eine Hoffnung, die viel Phantasie benötigt - , so würde das bedeuten, dass die durchschnittliche Pro-Kopf-Emission bei ca. 6,5 t liegen würde – ungefähr das aktuelle Niveau der ärmeren Hälfte der Bevölkerung !!!

Fazit
Zwei Tendenzen der hier mit Zahlenmaterial belegten Entwicklungen verdienen es, besonders hervorgehoben werden.

1. Jeglicher Optimismus, dass der Kapitalismus zumindest über einen längeren Betrachtungszeitraum hinweg – über Jahrzehnte oder Jahrhunderte – die Schere zwischen Arm und Reich schließen würde oder zumindest eine deutliche Annäherung bringen würde, ist unberechtigt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Konzentration des Reichtums in den Händen weniger hat ein historisch einmaliges Niveau erreicht.

2. Der Handlungsspielraum des Staates ist äußerst begrenzt, das öffentliche Vermögen ist zugunsten des Privatvermögens zurück gegangen und damit die Einflussmöglichkeiten der Regierungen, im Interesse einer Mehrheit der Bevölkerung tätig zu werden, so wie es in den Nachkriegsjahrzehnten in Deutschland der Fall war.

Wenn wir das, was im 20. Jahrhundert ansatzweise gelungen ist, nämlich Fortschritte in modernen Wohlfahrtsstaaten zu erreichen, die großen Teilen der Bevölkerung zu Gute kamen, dann müssen wir im 21. Jahrhundert eine enorme Umverteilung von Einkommen und Reichtum vornehmen, um die zahllosen Probleme, sei es auf dem Gebiet der Armut, der Umwelt, der Bildung oder der Gesundheit, um nur einige zu nennen, einer Lösung zuzuführen. Das kann nicht durch mildtätige Geschenke der Reichen oder kosmetische Eingriffe erreicht werden, sondern nur durch weit reichende staatliche Eingriffe in Einkommen und Vermögen, durch eine enorme Umverteilung. Dass die gegenwärtigen dafür verantwortlichen politischen Kräfte dabei nicht optimistisch stimmen, dürfte jedem klar sein. Nur durch breiten Druck aus der Gesellschaft selbst kann diese Aufgabe der Umverteilung, dieses Projekt der Gerechtigkeit, gelingen.

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