Eine Stellungnahme von frieden-links
01.02.2022
Viel zu lange schon wird die Öffentlichkeit zugeschüttet – mit Worten: „Können wir Putin stoppen?“ fragt BILD, die FAZ
sieht die „Ukraine von drei Seiten umstellt“, EU-Präsidentin von der Leyen entrollt in CNN “für den Fall einer russischen
Invasion“ eine Liste drakonischer Strafen und US- Präsident Biden warnt laut Zeit vor der „ausgesprochenen Möglichkeit“
einer russischen Invasion im Februar.
Worte können zu Kanonen werden. Wer lange genug einen Krieg beschwört, schwört ihn herauf.
Wer Frieden will, muss durch die Brille des Gegenübers schauen können. Anders ist Verständigung nicht möglich.
Präsident Putin verlangt vom Westen Sicherheitsgarantien für sein Land, vordringlich: Keine weitere NATO-Osterweiterung
und keine Raketenstationierungen an Russlands Grenzen. Wer Russlands Sicherheit nicht verletzen will, kann das
doch gewährleisten. Oder ist das von der NATO zu viel verlangt?
Ein Blick zurück
Im September 1990 haben die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, USA, Großbritannien, Frankreich und die
Sowjetunion, mit der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik den 2+4-Vertrag unterschrieben.
Auf ihn gründet sich die deutsche Vereinigung und er gilt als quasi-Friedensvertrag. In seiner Präambel verpflichten
sich die Vertragspartner zum „Aufbau einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa“. Sie erklärten
sich als „ENTSCHLOSSEN, die Sicherheitsinteressen eines jeden zu berücksichtigen“. In seiner Folge löste sich 1991 der
Warschauer Vertrag – das Gegenstück zur NATO – auf, nachdem der Sowjetunion zugesichert worden war, dass sich die
NATO nicht ostwärts ausdehnen würde. Das ist durch Zeugnisse von Beteiligten und Schriftstücke vielfach belegt.
Diese Zusage wurde bekanntlich gebrochen. Von 1999 an wurden Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland,
Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Albanien, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien Mitglieder der NATO.
2008 wurde Georgien und Moldawien offiziell der NATO-Beitritt angeboten, diesen hat die Ukraine als Staatsziel in ihrer
Verfassung verankert und wartet ungeduldig vor der Tür.
Wer bedroht wen?
Schon 1999 zeigte der NATO-Krieg gegen Jugoslawien: Auch nach dem Kalten Krieg ist Europa nicht sicherer geworden.
Der KSE-Vertrag, der eine massive Abrüstung konventioneller Waffen in Europa vorsah, wurde zwar von Russland, Weißrussland,
Ukraine und Kasachstan ratifiziert, aber von keinem der NATO-Staaten. Die USA haben die Verträge zur Rüstungsbegrenzung
(ABM-Vertrag zu strategischen Raketenabwehrsystemen, INF-Vertrag zu atomaren Mittelstreckenraketen
oder den „Open-Skies“-Vertrag) aufgekündigt, der Rüstungswettlauf ist nicht gestoppt. Im Gegenteil. Auch Russland
rüstet auf, etwa mit seinen neuen Hyperschallflugzeugen. Doch auf welchem Niveau! Nach Zahlen des schwedischen
Friedensforschungsinstituts SIPRI sind die USA auch 2020 wieder Weltspitze mit 738 Mrd. Dollar, das sind 40 Prozent
der globalen Rüstungsausgaben, viermal so viel wie Chinas (193,3 Mrd.) und zwölfmal mehr als Russlands (60,6 Mrd.).
In Europa stecken Großbritannien, Frankreich und Deutschland fast dreimal so viel in ihr Militär wie Russland.
Aufmarsch oder Manöver?
Zurzeit befinden sich die US-Streitkräfte mit denen Polens, der Baltischen Staaten und Tschechiens im Manöver Saber
Strike, um ihre „Operationsreichweite entlang der östlichen Flanke der NATO zu erhöhen“. Die NATO kündigte für Juni in
derselben Region das Manöver Ramstein Legacy an, nach eigenen Aussagen die größte integrierte Flug- und Raketenabwehrübung
der Welt. Aktuell übt die NATO im Mittelmeer, danach in der Ostsee, die Jagd auf russische U-Boote. Im
Mai/Juni probt das Pentagon unter Beteiligung von 33 000 Soldaten aus 26 Ländern die schnelle Verlegung großer Kampfverbände
aus den USA nach Ost- und Südosteuropa.
Die Stationierung über 100 000 russischer Soldaten in der Nähe der Grenze zur Ukraine vermag zwar durch Provokation
oder Kurzschlusshandlungen in eine militärische Konfrontation umzuschlagen, aber deutsche wie auch US-Medien berichten
von Stimmen selbst aus der Ukraine, die nicht davon ausgehen, dass dort derzeit mit einem russischen Einmarsch
zu rechnen sei.
Die doppelten Standards von Politik und Medien hingegen sind so abstoßend wie vernebelnd: „Die Guten“ halten auf fremden Territorien Übungen ab, fast so, als spielten sie nur, während „die Bösen“ im eigenen Land ihre Truppen aufmarschieren lassen, um ihre Nachbarn zu überfallen.
Kann ein Krieg verhindert werden?
Zwischen dem Westen und Russland ist so viel Vertrauen nachhaltig zerstört; rasch kann das nicht wieder wachsen. Zunächst geht es um akute Gefahrenabwehr:
Wer militärische Ausrüstung liefert, wird Konfliktpartei, deshalb:
• Keinerlei Waffenlieferungen an die Ukraine, auch keine Helme.
Deutschland trägt als Signatarmacht des Minsker Abkommens besondere Verantwortung, deshalb:
• ehrliche Bilanz, woran seine Umsetzung bislang gescheitert ist;
• Fordern und Fördern der verfassungsmäßigen Autonomie des Donbass und Demilitarisierung des Konflikts.
Zwischen der NATO und Russland:
• keine Militärmanöver, keine Bomber, keine Kriegsschiffe nahe der Grenze des anderen;
• keine Stationierung von atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen in ganz Europa;
• Rückkehr ohne Trickserei zur NATO-Russland-Akte, die eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in Osteuropa verbietet.
Frieden durch Sicherheit
Jede vertrauensbildende Maßnahme ist jetzt wertvoll. Dazu gehört die Inbetriebnahme von Nordstream 2 ebenso wie der Verzicht auf die ständigen EU-Sanktionen, dazu gehören Partnerschaften von Städten, Universitäten, großzügig ge-förderte Begegnungen in Kultur, Sport, Jugendaustausch. Alle Formate von Gesprächen und Zusammenarbeit sind sorgsam zu reaktivieren, bilateral und innerhalb der OSZE, des Europarats, des NATO-Russland-Rats.
So kann sich ein politischer und gesellschaftlicher Prozess hin zu einer neuen Konferenz zur Sicherheit und Zusammen-arbeit in Europa herausbilden, zur nachhaltigen Lösung der Konflikte und zur Gestaltung der Zukunft. Europa ist größer als die EU und Frieden wird es ohne oder gar gegen Russland nicht geben.
#Deeskalationjetzt – für eine Umkehr ist das öffentliche Engagement der Zivilgesellschaft und Friedensbewegung dringend erforderlich.
Berlin, Hamburg, Frankfurt/M., Düsseldorf, Essen, Bremen, Kassel, Tübingen, 31. Januar 2022
Reiner Braun, Berlin, International Peace Bureau, Kampagne Stopp Air Base Ramstein | Wolfgang Gehrcke, Berlin, Mitglied des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung | Heike Hänsel, Tübingen, Die LINKE | Ulla Jelpke, Berlin, Mitherausgeberin von ‚Ossietzky‘, Mitglied u.a. in ‚Sea-Watch‘ | Kristine Karch, Düsseldorf, Co-Sprecherin internationales Netzwerk „No to war-no to NATO“, Kampagne Stopp Air Base Ramstein | Karin Kulow, Berlin, Nahost- und Islamwissenschaftlerin, Konfliktforscherin | Ekkehard Lentz, Bremen, Sprecher Bremer Friedensforum | Pascal Luig, Berlin, NaturwissenschaftlerInnen-Initi-ative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. (NatWiss), Kampagne Stopp Air Base Ramstein | Alexander Neu, Berlin, Politologe | Willi van Ooyen, Frankfurt/M. Aktivist der Friedens- und Sozialforumsbewegung, Bundesauschuss Friedensratschlag, Ostermarschbüro | Norman Paech, Hamburg, emeritierter Professor für Politikwissenschaft und für Öffentliches Recht, Bündnis für Gerechtigkeit und Frieden zwischen Israelis und Palästinensern (BiP) | Karl Heinz Peil, Frankfurt/M., Friedens- und Zukunftswerkstatt e. V., verantwortlicher Redakteur des ‚Friedensjournal‘ | Christiane Reymann, Berlin, Publizistin | Werner Ruf, Edermünde, Politik-wissenschaftler und Friedensforscher, Kasseler Friedensforum, Mitglied des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung | Bernhard Trautvetter, Essen, Mitbegründer Netzwerk Schule ohne Bundeswehr NRW, Sprecher Essener Friedensforum, VVN-BdA, GEW | Winfried Wolf, Michendorf, Chefredakteur Zeitung gegen den Krieg.
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