von Bernd Hontschik
05.03.2025
In meinem Beruf kommt man dem Leben, aber auch
dem Tod sehr nahe. Deswegen beschäftigt es mich immer
wieder, wie wir in unserer Gesellschaft mit den Todesursachen
umgehen. Immer wieder sind Berichte zu
lesen, die eigentlich zur sofortigen Ausrufung der allerhöchsten
Alarmstufe führen müssten: Die Umweltverschmutzung
kostet jedes Jahr neun Millionen Menschen
das Leben, das ist das Ergebnis einer multinationalen
Studie unter Beteiligung der Münchner Ludwig-Maximilians-
Universität. Nach Berechnungen der WHO starben
1990 weltweit 2,3, Millionen Menschen durch Luftverschmutzung,
2019 waren es bereits 4,4 Millionen, darunter
Jahr für Jahr etwa 600.000 Kinder. Die Europäische
Umweltagentur beziffert die jährlichen Todesfälle
in der EU durch Feinstaub auf etwa 240.000. Die Auswirkungen
von übergroßem Lärm an großen Straßen und
Flughäfen werden in der EU auf 12.000 Todesfälle geschätzt.
Etwa 95.000 Menschen sterben Jahr für Jahr in
Deutschland an einer Sepsis, weltweit sind es elf Millionen.
Zurzeit ist die Anzahl der Kältetoten in Europa noch
circa zehn Mal höher als die der Hitzetoten, was sich
aber als Folge der Klimakatastrophe langsam umkehrt.
Von den 356.000 Hitzetoten weltweit sind ein Drittel auf
den Klimawandel zurückzuführen, stellte eine große
Studie im Lancet 2019 fest. Für Überlastung, Stress und
Überarbeitung macht die WHO für 745.000 Todesfälle
verantwortlich. In den letzten zwanzig Jahren sind in
den USA über 400.000 Amerikaner:innen an OpioidÜberdosen
gestorben, bis heute hat sich die Situation so
verschärft, dass jedes Jahr 100.000 dazukommen.
Aber auch wenn wir das alles einmal in den Griff bekommen
haben sollten: über allem stehen Armut und Einsamkeit.
In den USA konnte man herausfinden, dass ungefähr
6,5 Prozent aller Todesfälle mit Armut assoziiert
sind. Nur Herzkrankheiten, Krebs und Rauchen sind mit
einer größeren Anzahl von Todesfällen verbunden als
die Armut. Mahatma Gandhi
nannte die Armut die
schlimmste Form von Gewalt.
Eine Studie im schottischen
Glasgow aus dem Jahr 2019 ergab für die Bewohner der
ärmsten Stadtviertel eine um 28 Jahre geringere Lebenserwartung.
In Deutschland – etwas weniger dramatisch
– haben ärmere Männer eine Lebenserwartung
von 71 Jahren, reichere hingegen von 80 Jahren; ärmere
Frauen von 57 Jahren, reichere von 82 Jahren. Nach Angaben
des Robert Koch Instituts sterben hierzulande ärmere
Menschen fast zehn Jahre früher als reichere
Menschen.
Und dann gibt es neben der Armut noch die Einsamkeit,
von der Bernard Lown, der berühmteste Kardiologe des
20. Jahrhunderts, sagte: „Ich habe mich mein ganzes Leben
als Arzt mit den Krankheiten von Herz und Kreislauf
beschäftigt, mit den Menschen, die herzkrank werden.
Risikofaktoren, über die ständig geforscht und gesprochen
wird, Cholesterin,
Bluthochdruck usw.
sind nebensächlich. Für
das Entstehen vieler
Herz-Kreislauf-Krankheiten sind traurige, tragische Lebensumstände
verantwortlich: Einsamkeit, Verzweiflung
und Aussichtslosigkeit.“
In der Medizin lernen wir, mit Todesarten umzugehen,
in jedem Einzelfall immer wieder neu. Aber für die Todesursachen
haben wir keine Rezepte, sie betreffen die
ganze Gesellschaft. Ihnen steht man als Arzt völlig hilflos
gegenüber. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum es
in der Geschichte immer wieder so viele Ärzte unter Revolutionären
gegeben hat.
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