von Helmut Donat *
03.04.2024
Am Morgen des 18. März sagte die Soziologin Ulrike Ackermann im ZDF: Russland stehe nicht nur mit der Ukraine, sondern auch mit uns im Krieg. Man muss sich nur umschauen, um festzustellen: Weder hat uns Russland angegriffen, noch sind russische Kriegshandlungen auf deutschem Boden auszumachen. Gleichwohl gilt: In der Ukraine sollen Deutschland und der freie Westen – wie einst am Hindukusch – verteidigt werden. Eine Lüge muss wie in Afghanistan und im Ersten Weltkrieg dazu herhalten, dass wir uns für einen „Siegfrieden“ stark machen und immer mehr und gefährlichere Waffen liefern. Wer sich aber auf einen ukrainischen Kriegserfolg verlässt, steht nicht auf dem Boden der Tatsachen. In der Ukraine herrscht Krieg, und jeden Tag sterben Menschen, alles wird ruiniert, Hunderttausende Menschen sind bereits geflüchtet, obdachlos usw. Kann man es sich unter solchen Bedingungen leisten, weiter Krieg zu führen und noch mehr Zerstörungen zuzulassen? Wer dafür plädiert, stellt sich selbst ein mentales Armutszeugnis aus und zeigt, wie er sich über das Leben von Menschen hinwegsetzt.
Die militärische Lage im Ukraine-Krieg ähnelt der im Ersten Weltkrieg. Ein Abnutzungskrieg, der Geländegewinne auf beiden Seiten bisher ausschloss. Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen. Selbst der US-Generalstabschef hat von einer Patt-Situation gesprochen. Doch statt nach einer Friedensvereinbarung zu suchen, verschärft man den Ton und behauptet weiter, es ließe sich nur aus einer Position der Stärke verhandeln. Ein Verständigungsfrieden ist mit solchen Durchhalteparolen nicht zu erreichen. Durch Aufbieten aller Kräfte sowie dem Einsatz zusätzlicher Waffen soll der Sieg errungen werden. Umso mehr klammern sich die Kriegsbefürworter an den Nimbus der ukrainischen Unbesiegbarkeit. Sie rechnen nicht – wie schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg – mit den Unwägbarkeiten des Kriegsverlaufs. Die Selbstüberschätzung, ihre Rechthaberei und ihr unbedingter Siegeswille macht sie blind für andere als militärische Lösungen. Doch wir, die hier und anderenorts Versammelten, stehen dagegen auf, mit all unserer Kraft, und wir geloben, nicht eher Ruhe zu geben, bis das Töten und Zerstören aufhört – und wir tun alles, um einer diplomatischen Lösung Tor und Tür zu öffnen.
Die „Zeitenwende“ erweist sich längst als Versuch, Deutschland in eine Kriegs- bzw. Vorkriegsgesellschaft zu verwandeln und in die Zeit des Kalten Krieges – mit Russland als Feindbild – zurückzuversetzen. Die viel beschworene Hinwendung zur „Wehrhaftigkeit“ geht einher mit einer „Renaissance des Militärischen“. Ein Gemisch aus Biederkeit und Opportunität, aus nationaler Eitelkeit und Überheblichkeit, Angst- und Scharfmacherei, Abschreckungswahn und moralisierendem Kriegsgeschrei hat um sich gegriffen. Und als hätte es keinen Ersten und Zweiten Weltkrieg gegeben, treten hinzu: Militärfrömmigkeit und Selbstherrlichkeit, Schwertglauben, Heuchelei und Militärexpertentum mit Phrasenschwall – begleitet von den Symptomen eines Verfolgungswahns, der anderen auf den Pelz rückt und auf die er projiziert, was er selber tut oder vorhat.
„Der Feind steht nicht drüben, sondern hüben“, sprach einst Kurt Tucholsky. Er hat Recht. Neue und alte Krieger sind aufgebrochen, unserem Land einen „Mentalitätswandel“ zu verordnen. Nicht mehr der Frieden, sondern der Krieg soll der „Ernstfall“ sein – so das Programm der Scharfmacher und Traditionalisten in der Bundeswehr. Das Primat des Militärischen vor dem Zivilen soll erneut zur Staatsräson erhoben werden. Früher nannte man das „Militarismus“. Oskar Stillich hat es so definiert: „Militarismus ist nicht das Vorhandensein von der Verteidigung eines Landes dienenden Soldaten, sondern ein System der Vorherrschaft und Überbewertung des Militärischen.“ Dem entspricht, dass Boris Pistorius den kriegerischen Tatmenschen eine Lanze bricht mit seinen Phrasen von der „Kriegstüchtigkeit“. Regierungsvertreter hofieren die todbringende Rüstungsindustrie, die Rüstungsausgaben steigen, während man die Mittel für Kultur und Soziales kürzt – und die Armut weiter zunimmt.
Presse, Rundfunk, Fernsehen unterstützen und fördern die gewaltbereite Politikerkaste, indem sie der Kriegspropaganda der Ukraine und ihren deutschen Befürwortern freien Lauf lassen. Keine Verdrehung und Lüge ist ihnen und den politisch Verantwortlichen zu schade, wenn es darum geht, Menschen zu verdummen. Man muss nur in jene Richtung lügen, die der psychischen Einstellung, den Stereotypen der Russophobie, den Ressentiments und Vorurteilen entsprechen.
Wir lassen uns nicht täuschen! Wir machen die amtliche Irreführung und kriegspropagandistische und willfährige „Gleichschaltung“ des Volkes durch die mediale Berichterstattung nicht mit! Wir wissen: Große Teile des deutschen Volkes haben mehr gelernt als die ewig gestrigen Gewaltanbeter. Sie lehnen eine Politik ab, die sich auf Gewalt stützt und Krieg in Kauf nimmt oder in andere Länder tragen will. Darauf vertrauen wir, und wir tun alles, über die Ursachen und Hintergründe des Krieges aufzuklären. Das gilt ebenso für die gefährlichen Bestrebungen jener Politiker und Militärs, die sich die Geschichte in erster Linie als ein Schlachtfeld vorstellen, auf dem es sich zu behaupten gelte. Was dabei am Schluss herauskommt, wissen wir sehr genau: Ein riesengroßer, unüberschaubarer Friedhof. Nochmals: Das machen wir nicht mit!
Die Dominanz des militärischen über das zivile Denken geht einher mit Verächtlichmachung und Ausgrenzung von all jenen, die sich für eine rasche diplomatische Lösung des Konfliktes aussprechen. So ist es schon im Ersten Weltkrieg gewesen. Wer nicht mitmarschiert und sich dem Kriegstaumel nicht unterwirft, wird erneut gemieden, unter Druck gesetzt, schlecht gemacht und verdächtigt, im Interesse Putins zu handeln. Hierzu ist zu sagen: Es ist besser, mit einem Verbrecher zu verhandeln, als selbst zum Verbrecher zu werden!
Kleingeister, die uns als „Lumpen-Pazifisten“ beschimpfen, werden uns nicht aufhalten. Sie sind es, die, wenn sie Andersdenkende wie Gandhi als eine „sagenhafte Knalltüte“ bezeichnen, auf die Couch gehören und sich „lumpen-haft“ aufführen. Wer Friedensstreiter oder den Papst als „Engel aus der Hölle“ herabwürdigt, greift ebenfalls zu diffamierenden Umgangsformen. Dabei steht vor dem Hintergrund der Geschichte außer Frage: Gerade in Kriegszeiten haben sich die kritischen und warnenden Stimmen als wirklich tragfähig und zukunfts-weisend erwiesen – im Unterschied zu den sogenannten „Realpolitikern“, die Europa und die Welt in den Abgrund gestürzt haben. Wir stehen auf den Schultern von engagierten Friedensstreitern, während die Kriegsbefürworter im Sande stecken und Wege einschlagen, die uns alle bedrohen.
Die Frage, was Krieg – das massenhafte Sterben der Soldaten beider Seiten wie das der Zivilisten – wirklich bedeutet, spielt in der Öffentlichkeit und Berichterstattung kaum eine Rolle. Vielmehr wird der Krieg verharmlost. Im ZDF verglich man das Steuern von Drohnen vor wenigen Tagen, am 27. März im „auslandsjournal – die doku“, mit einem „Computerspiel“. Und bei einem NATO-Manöver an der rumänisch-ukrainischen Grenze ließ man die französische Panzerkommandantin „Claire“ sagen: „In einem Panzer fährt man wie ein König der Welt.“ Des Weiteren bescheinigte man ukrainischen Soldaten, wie „menschlich“ sie zwei verletzte russische Kriegsgefangene behandelten, „was“, so hieß es, „von den Russen unterscheidet“. Berichten hingegen wegen möglicher Kriegsverbrechen gegen russische Gefangene wird nicht nachgegangen. Dem Kern des Problems weichen solche bagatellisierenden Aussagen aus, wie es auch Pistorius und die Jugendoffiziere der Bundeswehr tun, die den Kindern in den Schulen erzählen, dass Soldatsein ein ganz normaler Beruf sei. Sie verschweigen, dass Soldaten in der „Kunst“ des Tötens unterwiesen und insbesondere heute zum Massenmord ausgebildet werden, dass Krieg und Grausamkeit unauflöslich miteinander verbunden sind, so der Pazifist Hans Fülster: „Der Krieg zwingt zur Unmenschlichkeit, zur Unmoral, zur Barbarei. Die Blutarbeit erstickt das Gefühl der Menschlichkeit; der Krieger wird unempfindlich gegen fremde Leiden … Der Krieg bringt eine grundsätzliche Umwertung aller sittlichen Begriffe. Er zerbricht alle ethischen Werte in ihr Gegenteil … Im Kriege lautet das Gebot: Du sollst töten … Ein unversöhnlicher Gegensatz klafft zwischen der Moral des Friedens und der Moral des Krieges.“ Und Tucholsky warnt: „Wer im Kriege getötet wurde, ist nicht zu feiern, sondern aufs Tiefste zu bedauern, weil er für einen Dreck gefallen ist.“ Das gilt auch für den Ukrainekrieg, der ein Stellvertreterkrieg ist, „den die Ukraine für die NATO, insbesondere für die USA, gegen Russland ausficht mit der Tendenz zur ständigen Eskalation und mit dem Potential eines Weltordnungskrieges“ so Peter Brandt, Sohn des Friedensnobelpreisträgers und früheren Bundeskanzlers Willy Brandt.
Es ist an der Zeit, dass sich die Vertreter der Friedens-, Demokratie- und Klimabewegung zusammensetzen.
Es geht darum, eine machtvolle Bewegung ins Leben zu rufen, um
1. einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg zu erreichen,
2. der Gefahr von Rechts eine geharnischte Absage zu erteilen und
3. unseren Planeten vor den katastrophalen Folgen eines Kollaps‘ zu retten.
Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt! Die Zukunft gehört uns – dem Frieden und nicht dem Krieg. „We shall overcome!“ sei unsere alte wie neue Hymne: Wir werden unüberhörbar, unübersehbar und unüberwindbar sein. Wir stehen auf! Und mit den Worten Friedrich Wilhelm Foersters, des bedeutendsten Kämpfers gegen Militarismus und Nationalismus im Deutschland des 20. Jhdts., rufe ich Euch zu: „Immer nur die andern anklagen und von den andern Initiative und Beispiel erwarten, das ist weder männlich noch politisch; nein, bei sich selber anfangen, selber das Beispiel geben, selber erfinderisch in Bezug auf konstruktive Lösung internationaler Probleme werden, sich selber zum Frieden und zur Wahrheit bekehren, das ist die allein menschenwürdige Haltung.“
Das sollte sich nicht zuletzt die deutsche Regierung zu Herzen nehmen. In diesem Sinne wünsche ich allen ein gesegnetes Ostern!
*Rede von Helmut Donat bei der Ostermarschkundgebung am 30. März 2024 in Oldenburg
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