Drei Anmerkungen über deutsch-russische Besonderheiten vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges



von Bernd Fischer
28.02.2023



1. „Kommt es zum großen Krieg, dann muß Russland als Angreifer abgestempelt sein.“ (Reichskanzler Moritz August von Bethmann-Hollweg am Vorabend des 1. Weltkriegs in einem Telegramm an den deutschen Botschafter in Wien)

Am 25. September 2001 machte Wladimir Putin in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag den anwesenden Parlamentariern ein Liebesangebot, das die USA als imperialistische Führungsmacht nur als Kriegserklärung verstehen konnten und verstanden. Wörtlich sagte Putin unter anderem: „Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.“ Seither wird von zahllosen transatlantischen Gesellschaften und zahllosen transatlantisch vernetzten Medien ein Deutungsrahmen konstruiert, der auf die Gleichsetzung Russlands und Putins mit militärischer Aggression (Georgien, Krim), staatlich befohlenem Mord (Magnitzky, Nemzow, „Tiergartenmord“ usw), Mord oder Mordversuch durch Vergiftung (Juschenkow, Litwinenko, Skripal, Nawalny), Einsatz von Giftgas gegen Zivilisten durch die mit Russland verbündete syrische Armee sowie antidemokratische Aushöhlung der westlichen Demokratien durch „hybride Kriegsführung“ und den Einsatz sogenannter „Trolle“ zielt, wobei niemand außer Marieluise Beck oder Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne weiß, wie diese aussehen, und was sie wirklich tun.

Die Linke, und nicht nur die gleichnamige Partei, hat sich dieser Deutung lange verweigert und sich dabei, wie Felix Bartes im März 2022 in Junge Welt schrieb, bei der Verteidigung der reaktiven, auf Entspannung orientierten Politik Putins „weit aus dem Fenster gelehnt, und als der Krieg eintrat, ist sie hinausgefallen. Putin hat es geschafft, die Linke in Deutschland zu paralysieren. Sie liegt derzeit handlungsunfähig am Boden. Schockiert vom Krieg und beschämt durch ihre falschen Prognosen, fällt es ihr schwer, im Kampf gegen die Hochrüstung der NATO offensiv aufzutreten. Hätte sie sich von Beginn an einer Hegelschen oder Leninschen Nüchternheit befleißigt, stünde sie jetzt anders da.“

2. Die Parole „WeAreAllUkrainians!“ ist als Befehl an die Bundesbürger zu verstehen, auf die letzten Reste Nato-kritischer Distanz zugunsten einer grenzübergreifenden homogenisierenden Opferidentität zu verzichten.

In der deutschen Debatte wird die Frage nach den Gründen durch die nach Gut und Böse, nach Schuld und Unschuld ersetzt, was den friedenspolitischen Verstand betäubt. „Interessant am Krieg“, schreibt Felix Bartels, „ist gar nicht so sehr der Krieg. Ihn zu bestimmen, seine Ursachen und seinen Charakter, scheint eher aufwendig denn schwer. Interessanter schon, was er mit den Leuten macht. Welche Affekte er bei ihnen provoziert, zu welchen Positionen er sie treibt, welche Haltungen sie anlässlich seines Ausbruchs – im doppelten Wortsinn – verraten. Manche verändern sich zur Kenntlichkeit, andere sehen sich in einem bereits begonnenen Sinneswandel beschleunigt, und selbst diejenigen, die an ihren Positionen festhalten, verändern sich, weil es einen Unterschied macht, ob man ein Urteil bloß hat oder es auch verteidigen muss.“ Was im Übrigen immer schwerer wird, wenn die russische Armee, dem Eskalationsdruck der Nato folgend, auch die zivil-militärisch genutzte Infrastruktur der Ukraine zerstört, weshalb, wer Jewgeni Jewtuschenkos Frage „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ mit einem „Nein“ beantwortet, in der deutschen Öffentlichkeit schon als Vaterlandsverräter gilt.

Die erwähnte Parole ist auch als Angebot an diejenigen zu verstehen, die darunter leiden, dass ihre Väter, Großväter und Urgroßväter das größte Massenverbrechen aller Zeiten, den Vernichtungskrieg im Osten mit 27 Millionen Toten allein auf dem Gebiet der Sowjetunion, zu verantworten haben. Die Deutschen suchen in ihrer Positionierung zu diesem Krieg, um noch einmal Felix Bartels zu zitieren „in der Jetztzeit Möglichkeiten, die Last der Vergangenheit abzutragen, suchen, um ein Wort von Eike Geisel zu nehmen, Wiedergutwerdung.“ Mit Annalena Baerbock, die beständig darauf pocht, WIR seien im Kampf gegen das Böse die Guten, scheint diese Suche – endlich - Erfolg zu haben.

3. „Je weniger der Waffen- und Wirtschaftskrieg gegen Russland die erwünschten Resultate bringt, desto intensiver und irrationaler wird der ideologische Feldzug gegen Moskau.“ (Arnold Schölzel in Junge Welt vom 26.11.2022)

Dieser Feldzug wird nicht nur gegen Moskau, er wird auch gegen unseren Verstand geführt, und wer, wie Felix Bartels schreibt, unter diesen Bedingungen sein Urteil über die Geschichte und den Kontext des militärischen Konflikts in der Ukraine verteidigt, setzt seine Integration in private und berufliche Zusammenhänge aufs Spiel, wird als Stellvertreter Putins stigmatisiert, muss nicht nur seine politische Position, sondern auch sich selbst und seinen Wert als Mensch verteidigen und dabei Kräfte mobilisieren, die das Leben nicht unbedingt schöner, leichter und angenehmer machen.

„Du, lass dich nicht verhärten / In dieser harten Zeit“, hat Wolf Biermann vor einer halben Ewigkeit gesungen, derselbe Biermann, der heute die Vernünftigen, die ein Ende der Waffenlieferungen und den Beginn ernsthafter Verhandlungen fordern, als „Second-hand-Kriegsverbrecher“ diffamiert. Der Bundestag übernimmt derweil unhinterfragt die ukrainische Erzählung vom „Holodomor“, nimmt damit, wenn auch nur durch die Hintertür, eine Gleichsetzung der Sowjetunion/Russlands mit dem deutschen Faschismus vor, und fordert einen internationalen Kriegsverbrecherprozess, der die russische Führung – man wird ja wohl noch fantasieren dürfen - hinter Stammheimer Schloss und Riegel bringt, wo sie kollektiven Selbstmord begehen kann.

Bis dahin allerdings muss die große antirussische Koalition damit zufrieden sein, Preise zu vergeben. Zum Beispiel an den ukrainischen Hassprediger Serhij Zhadan, dem jüngst der Friedenspreis des deutschen Buchhandels für eine „humanitäre Haltung“ verliehen wurde, die der Geehrte gern unter Beweis stellt, wenn er für das faschistische Asow-Regiment die Trommel rührt und Russen kollektiv als „Unrat“ bezeichnet, „der aus dem Osten über uns hergefallen ist.“ Friedenspreiswürdig humanitär ist auch sein Blick auf die russische Kultur, wenn er die selbstgestellte Frage beantwortet: „Ist Puschkin daran schuld, dass Kriegsverbrecher in Russland geboren werden? Ja, er ist schuldig. Natürlich ist er schuldig. Sie sind alle schuldig.“

Und weil die weltoffene Hansestadt Bremen humanitäre Haltungen zu würdigen weiß, wurde Zhadan am 02. Dezember 2022 der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken verliehen, überreicht von Antonia Grunenberg (Mitbegründerin und Vorstandsmitglied des Hannah Arendt-Preises für politisches Denken, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Hauses der Geschichte in Bonn und Mitglied der wissenschaftlichen Fachkommission der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur), Kristina Vogt (Bremer Wirtschaftssenatorin/Die Linke) und Jan Philipp Albrecht (Heinrich Böll Stiftung), womit auch hier zusammenwächst, was zusammengehört, damit im Bremer Rathaus das Völkerrecht als „regelbasierte Ordnung“ gefestigt werden kann.

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