Aktienrente auf Pump

von Holger Balodis und Dagmar Hühne
22.11.2022



Finanzminister Lindner geht unter die Zocker. Er plant, wovon sonst dringend abgeraten wird: Aktienkauf auf Kredit. Und es geht nicht etwa um Peanuts: 10 Milliarden Euro werden aufgerufen.

Natürlich macht Lindner das nicht für sich persönlich, so verrückt und leichtsinnig wäre der Mann vermutlich nicht. Es geht ihm vielmehr, so könnte man meinen, um die Rentner. Denn 10 Milliarden Euro will der Bund 2023 als Darlehen aufnehmen.* Davon soll eine noch zu gründende Bundesbehörde Aktien kaufen und vom Gewinn soll dann die Rentenkasse in den 2030er Jahren profitieren.

Es bleibt ein verrücktes Projekt. Denn bekanntermaßen hassen Christian Lindner und seine FDP ja Schulden machen wie die Pest. Deshalb wird das ganze auch als Darlehen deklariert und verstößt damit offiziell nicht gegen die Schuldenbremse. Es wird aber von Lindner nicht bestritten, dass erhebliche Finanzierungskosten, sprich Zinsen anfallen. Das sei aber kein Problem, weil die Aktienrendite ja deutlich höher ausfallen werde als die Finanzierungskosten von, sagen wir 2 oder 3 Prozent. Das erinnert ein wenig an Baron Münchhausen, der sich bekanntlich an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen konnte. Wenn Lindner wirklich an solche Spielchen glaubt, weshalb finanziert er nicht seinen kompletten Bundeshaushalt auf Pump? Einige Billionen Euro per Darlehen aufgenommen, in den Aktienmarkt gesteckt und kurze Zeit später hat sich der Haushalt quasi selber finanziert. Kein Mensch müsste mehr Steuern zahlen. Geradezu ein Paradies für die Liberalen. Warum ist da noch niemand vorher drauf gekommen?

Neben solchen Überlegungen aus Absurdistan bleibt die Frage: Was würde so eine Aktienrente überhaupt bringen? Selbst wenn die angepeilte Superrendite von jährlich acht Prozent erreicht werden sollte, wären die Wirkungen in zehn oder fünfzehn Jahren erstaunlicherweise nahe null. Es sollen schließlich nur die Erträge aus dem Aktieninvestment zur Beitragssatzdämpfung verwendet werden. Und die lägen dann aufsummiert wohl bei rund einem Prozent des künftigen Rentenetats**. Darauf wies Alexander Gunkel jüngst hin. Pikanterweise ist Gunkel oberster Arbeitgebervertreter in der Selbstverwaltung der deutschen Rentenversicherung. Und ein solch vernichtendes Urteil zu den Lindner-Plänen hätte man von Arbeitgeberseite eigentlich nicht erwartet. Zwischenfazit: Die Aktienrente ist in der bislang bekannten Form für die Finanzierung der Renten in den 2030er Jahren irrelevant. Obendrein ist sie riskant – niemand kann und will für eine positive Rendite garantieren.

Doch was soll die Aktienrente dann? Sie ist ein Symbol, ein Leuchtturmprojekt für Lindners liberale Anhängerschaft, die den Sozialstaat eher für verzichtbar hält. Wie die Riester-Rente und die per Entgeltumwandlung finanzierten Betriebsrenten stützt die Aktienrente allein durch ihre Existenz die These aller Neoliberalen, nach der die gesetzliche Rente alleine keinesfalls eine gute Alterssicherung bieten könne. Ziel der Aktienrente ist damit vor allem eines: die weitere Delegitimierung der gesetzlichen Rente. Doch so etwas können wir aktuell am wenigsten gebrauchen. Und am allerwenigsten brauchen wir eine Aktienrente.

*Ob in den Folgejahren ähnliche Summen folgen, ist noch nicht entschieden.

** Wenn sich das 10 Mrd. Euro schwere Aktieninvestment nach zehn Jahren mit durchschnittlich 8 Prozent rentiert, bleiben – vereinfacht gerechnet - nach Abzug von Finanzierungskosten von 3 Prozent jährlich rund 500 Mio. Euro. Der Rentenetat könnte Mitte der 2030er Jahre bei 500 Mrd. Euro liegen. Die aufsummierten Erträge aus der Aktienrente würden dann 1 Prozent dieses Etats decken. Ab da stünden jährlich sogar nur 500 Mio. Euro zur Verfügung, also nur 0,1 Prozent des künftigen Rentenhaushalts.


Es gibt einen YouTube-Link zum Online-Gespräch mit Holger Balodis in Kesslers Wirtschaft vom 8.11.2022: https://www.youtube.com/watch?v=nNhLoLOZcW4

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