Bildungspolitik in Bremen

Lehrstück über den neoliberalen Angriff auf die Demokratie

von Peter Köster
17.04.2019



Im Gegensatz zum Getöse der Landespolitiker gibt es in Wahrheit wenige Politikfelder, auf denen Landespolitik wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten hat. Ein wesentliches gerade unter gesellschaftspolitischen Aspekten stellt die Bildungspolitik dar. Im Wahlprogramm „Zukunft Bremen 2035“, das gewissermaßen die Bündelung der Positionen in den gegenwärtigen Regierungsparteien darstellt, wird die Forderung aufgestellt, den finanziellen Standard in der Schulpolitik auf den der anderen Bundesländer zu heben. Das führt genauer betrachtet in die Irre...

Die Forderung greift nämlich nach der Verwüstung, die unter Führung der SPD, aber mit Beteiligung aller jeweils in der Bürgerschaft vertretener Parteien im bremischen Schulsystem ab 1990 etwa zwei Jahrzehnte lang angerichtet wurde, viel zu kurz: Bremen müsste nunmehr weit mehr für die Schulen ausgeben als andere Bundesländer, wenn es längerfristig auch nur den ohnehin im Vergleich der Industrieländer kümmerlichen bundesweiten Standard erreichen soll.

Zwei Jahrzehnte neoliberale Kehrtwende der SPD in der Bildungspolitik

Der „Pisa-Schock“ in Bremen fiel nur für Ignoranten vom Himmel: Er war das absehbare Resultat eines beharrlich entgegen den ständigen Warnungen derer, die die Arbeit machten, rabiat durchgesetzten Kahlschlags. Nach dem Willen einiger Akteure sollte dieser durchaus auch exemplarisch das neoliberale Paradigma eines sukzessiven Rückzugs des Staates und Auslieferung von reproduktiven Bereichen an den „freien“ Markt vorführen. Verkauft wurde dies gerade von solchen Akteuren mit der salbungsvollen Proklamierung von ausgeweiteten „Selbst-“ bzw. „Mitbestimmungsrechten“ von Betroffenen, als deren wesentliche Folge die Entsolidarisierung durch Verteilungskämpfe um die verknappten Ressourcen und damit die Schwächung des Widerstandes gegen die „Sparpolitik“ willkommen war.

Diese Politik hat vor allem den schlimmsten Teil des Bremer Ergebnisses der Pisa-Untersuchung zu verantworten, nämlich den besonders hohen, tendenziell noch wachsenden Abstand der Bildungschancen der Kinder von sozial Benachteiligten gegenüber denen der Privilegierten. Sie konnte im traditionell sozialdemokratischen Bremen nicht ohne eine führende Rolle der SPD gemacht werden. Nötig war eine atemberaubende Abkehr dieser Partei von den bildungspolitischen Zielen, die zuvor (am deutlichsten noch vom Bildungssenator von Hassel und teilweise unter Senator Franke in den 80er Jahren) mehr oder weniger auch praktisch verfolgt wurden und den Interessen der meisten ihrer Wähler entsprachen. (1)

Die konkreten „Sparmaßnahmen“ nahmen seit dem Beginn der 90er Jahre zunehmend den Charakter eines Zerstörungswerks von zivilisatorischer Substanz an. Insgesamt wurden:

- fast 20% der Lehrerstellen - bei etwa gleich bleibender Schülerzahl - im Zuge eines umfassenden Einstellungsstops für neue Lehrer vernichtet. Ein teilweiser „Ausgleich“ durch eine 8prozentige (!) Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung aller Lehrer*innen sorgte vollends dafür, dass immer weniger immer ältere Unterrichtende in immer größeren Klassen ihre Schüler*innen naturgemäß immer ungeduldiger und notgedrungen oft unreflektierter traktierten. Das musste immer mehr die Lernenden in die Resignation treiben oder ganz scheitern lassen, die zu Hause keine besondere Unterstützung erwarten können.

- die Möglichkeiten zur Lehrerfortbildung, wie sie zur Hälfte auf die Unterrichtsverpflichtung angerechnet wurde, erst deutlich abgebaut, schließlich in dieser Form ganz abgeschafft: Auch Mangel an Kenntnis moderner Methoden geht letztlich mehr auf Kosten der benachteiligten Schüler

- die Klassenfrequenzen erhöht (überproportional im weiteren Verlauf bei den Gesamtschulen!), was ebenfalls hauptsächlich die ohnehin erfolgreichen Schüler ohne größere Defizite verkraften

- Halbgruppenunterricht in Naturwissenschaften und Englisch in der - aus Kostengründen dann eingestellten, auf soziale Integration angelegten - Orientierungsstufe reduziert: Auch der kam zuvor vor allem den besonders förderungsbedürftigen Schülern zugute

- der Sozialstrukturausgleich, der für bessere personelle Ausstattung von Schulen in benachteiligten Stadtteilen sorgte, abgebaut

- die Doppeltzählung von ausländischen Kindern in Grundschulen bei der Zuteilung von Lehrerstunden beseitigt

- der Förderunterricht sowie Arbeitsgemeinschaften, die z.T. ebenso Möglichkeiten zur gezielten Unterstützung boten, verringert

Zur Ablenkung von diesem Schlachtfest wurde den Warnrufen der Praktiker plötzlich von allen Parteien gebetsmühlenhaft der Satz vorgehalten: „In der Bildung ist Geld nicht alles!“ Das ist zwar nicht bestreitbar; in Abwandlung des entsprechenden berühmten Satzes von W. Brandt über den Frieden gilt aber ebenso: „Ohne Geld ist (auch) in der Bildung alles nichts!“ Die genügende Ausstattung des Schulwesens ist eben eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für gute Bildung.

Scherf: „mitbestimmte“ Politik im „Versuchslabor“ gegen Kleine, Benachteiligte und Wehrlose

Der mit der Einleitung der Demontage sozialdemokratischer Bildungspolitik beauftragte Senator Scherf (Februar 1990 bis Juli 1995) betätigte sich als Nebelwerfer, indem er u.a. mittels eines neuen Schulverwaltungsgesetzes die Dezentralisierung einiger Entscheidungsbefugnisse betrieb unter dem expliziten Motto: „Jedem Stadtteil die ihm gemäße Schule“ und so geschickt - noch verharmlosend betrachtet - „nur“ von den unsozialen Kürzungen ablenkte, bei genauem Hinsehen allerdings sie eigentlich offensiv rechtfertigte, was sich u.a. in der Planung von zwei neuen Gymnasien - gemäß einer Forderung der FDP unter wohlwollender Duldung der Grünen in der kurzlebigen Ampelkoalition - materialisierte . Gleichzeitig berief er eine sechsköpfige Kommission von auswärtigen Experten unter dem Vorsitz des bekannten Marburger Pädagogik-Professors Klafki, über deren recht allgemein gehaltenes, von viel gutem Willen getragenes Gutachten sich trefflich über viele Monate in den Leserbriefspalten folgenlos streiten ließ. Die ausufernde - übrigens kostspielige! - Vielgestaltigkeit der Bremer Bildungslandschaft feierte Scherf im Sinne eines angeblich fortschrittlichen „Versuchslabors“ mit Blick auf die Zukunft (d.i. einer neoliberalen Politik), für das der kleine Stadtstaat prädestiniert sei.

Wohin das Hantieren im „Versuchslabor“ bereits konkret geführt hatte, verdeutlicht ein dem Verfasser aus der seinerzeitigen täglichen Arbeit bekanntes Beispiel: Im Schulzentrum Walle in der Langen Reihe z.B. bedeutete die nun geplante Streichung von Mindestausstattung und Sonderbedarf, dass von 178 Lehrerstunden pro Jahrgang 46 gestrichen werden sollten, mithin 26 Prozent!

Beschwerte ein Schulmensch sich in dieser Anfangszeit des Zerstörungswerks bei irgendeinem Vertreter der Bildungsbehörde über die steil ansteigenden Klassenfrequenzen, die das Sonntagsreden-Gequatsche von Politikern über eine angebliche „Individualisierung des Lernens“ ad absurdum führten, verwies dieser regelmäßig auf eine einzige obskure „wissenschaftliche“ Studie, nach der angeblich der Bildungserfolg (2) völlig unabhängig von der Lerngruppengröße sei. Offensichtlich hatte in der Bildungsbehörde am Rembertiring eine Gehirnwäsche stattgefunden, die auch die ehemaligen Lehrer, die aus den Klassenzimmern in die Verwaltungsarbeit geflohen waren, in ihrer Not diesen für jeden pädagogischen Praktiker ausgemachten Schwachsinn schlucken ließ.

Eine drastische Zwischenbilanz der Sparpolitik in einem Leserbrief aus dem April 1996 zeigt die radikale Abkehr von sozialdemokratisch geprägter Bildungspolitik auf und deutet deren Hintergründe, vor allem aber die absehbaren Folgen an:

Mit den jungen Kolleginnen, die ein Jahr ihr Engagement in die Schulen tragen durften und nun den Fußtritt zurück in die Arbeitslosigkeit bekommen sollen, wird z.T. Erstklässlern ihre Vertrauensperson genommen; die generelle Aufkündigung des "Grundschulkompromisses" ist zudem ein umfassendes Vergehen an den Lernanfängern in ihrer prägendsten Phase: Das geht gegen die Kleinen! Die rücksichtslose Streichung der "Sonderbedarfe" nimmt Schulen Möglichkeiten zur gezielten Förderung in benachteiligten Stadtteilen und z.B. von ausländischen Kindern: Das geht gegen die Schwachen! Und die Einstellung der weiteren Integration von behinderten Kindern aus finanziellen (nicht etwa konzeptionellen!) Gründen geht vollends gegen die Wehrlosen.

Beispielhaft zeigt so der geplante Bildungsetat, wie die Leidtragenden der von manchen fanatisch vorangetriebenen marktradikalen "Standort"-Politik die Kleinen, Benachteiligten und Wehrlosen sind.

Denn wer ein vertrauenswürdiges, nach Chancengleichheit strebendes Bildungsangebot unmöglich macht, legt die Axt an die Wurzeln einer am Ziel der Aufklärung und größtmöglichen Gerechtigkeit orientierten demokratischen Gesellschaft!


Kahrs: im Zugriff der CDU

Auf Scherf folgte als Bildungssenatorin 1995 Bringfriede Kahrs, als ihr Amtsvorgänger (3) die Koalition mit der CDU durchgepeitscht hatte. Diese erklärtermaßen bürgerliche Partei, stets für eine knallharte „Sparpolitik“ gut, sorgte für eine weitere Verschärfung des Kurses und sah befriedigt zu, wie die SPD-Senatorin sich - vor allem durch die erwähnte in der BRD-Sozialgeschichte bis dahin präzedenzlose 8%ige Arbeitszeiterhöhung - ihrem harmonieorientierten Vornamen zum Trotz in ständigem Stellungskrieg mit einer im Grimm vereinten Lehrerschaft aufrieb, die inzwischen zur weitaus ältesten aller Bundesländer mit dem deutlich größten Pflichtstundendeputat avancierte. Schließlich war sie nicht mehr zu halten, wozu wohl auch ihr weit gehender Verzicht auf die inzwischen branchenüblichen Ablenkungs- und Täuschungsmanöver durch idealistische Schwurbeleien und hochmögend-utopische „Visionen“ beitrug.

Lemke: „Links“ blinken, rechts abbiegen in Vollendung

Daher folgte ihr im Amt eine als „kommunikatives Genie“ gehandelte Betriebsnudel, die von ihrem Partei-Kumpel Scherf höchstselbst von Werder losgeeist worden war, der durch seine unterhaltsamen Balgereien mit der Hassfigur Hoeneß vom Werder-Rivalen Bayern München bundesweit bekannte Willi Lemke. Dieser legte gleich unbekümmert los mit undemokratischen Bildern aus dem Leben eines Profifußball-Animateurs: Kritik müsse in der Umkleidekabine bleiben und dürfe nicht an die Öffentlichkeit geraten und bei bedingungslosem Teamgeist aller Beteiligten müsse man wegen des - noch völlig ziellosen - Tatendrangs des neuen Trainers auf einen Aufstieg vertrauen und sich nicht weiter in Scharmützeln mit unfrohen bürokratischen Erscheinungen die Laune verderben lassen.

Indem zu diesem Zeitpunkt bereits an die 10 % der Lehrerstellen bei sogar leicht gestiegenen Schülerzahlen vernichtet waren, müsste man die Zumutung, um im Bild zu bleiben, so verdeutlichen: Eine bisher schon abstiegsbedrohte, alles gebende Mannschaft mit dem höchsten Altersdurchschnitt der Liga soll unverdrossen mit 9 statt 10 Feldspielern auflaufen, wofür als origineller „Motivationsschub“ von ihrem Trainer die wundersame Erreichung eines oberen Tabellenplatzes in Aussicht gestellt wird.

Lemke wurde offensichtlich geholt, als es in der bremischen Schulpolitik endgültig vor allem um Rosstäuscherei ging, weil den Leuten die Folgen des immer rabiateren Sparkurses möglichst verborgen bleiben sollten. Als "public relations"-Spezialist sollte er wohl seine erhebliche Popularität als "Mr. Werder" einbringen und notfalls langsam im Dienst des neoliberalen Ausverkaufs der gesellschaftspolitischen Dimension von Bildungspolitik aufzehren lassen.

In seine Amtszeit fällt erwähnter „Pisa-Schock“. Dieser treibt den demonstrativ umtriebigen Senator nicht etwa zur ernsthaften Einarbeitung in die Erforschung der konkreten Ursachen, sondern endgültig in die verzweifelte Schizophrenie. Das Prinzip „Links blinken, aber rechts abbiegen“, das vor ihm bereits Scherf ziemlich virtuos handhabte, entwickelt Lemke zur Vollendung: Öffentlich schwärmt Lemke nach einer Reise zum „Pisa-Sieger“ Finnland von dessen Schulwesen, das bekanntlich die Schüler nach einer grundlegenden Reform (4) bis zum 16. Lebensjahr in einer integrierten Schule für alle zusammen hält. Kurz danach überrumpelt er aber dann einen SPD-Parteitag und lässt ihn ohne jede vorbereitende Diskussion in seiner Partei (die führte er lieber in intensiven Mauscheleien mit dem CDU-Haudegen Neumann) handstreichartig die zuvor kaputt gesparte Orientierungsstufe in Klasse 5 und 6 ersatzlos beseitigen. Das Alter der Schüler, in dem sie in unterschiedliche Schularten selektiert werden, wurde so - gemäß einer alten Forderung des Koalitionspartners - brutal wieder um zwei Jahre gesenkt! (5) Für diese "Reform", so ein Kollege, hätte Lemke nicht nach Finnland zu reisen brauchen, dazu hätte ein Trip nach Achim in das damals CDU/FDP-regierte Niedersachsen genügt...

Nicht zuletzt wird durch die vorverlegte Selektion allem Gerede von der Priorität des Anfangslernens zum Trotz das Lernen in den Grundschulen, in die noch am ehesten fortschrittliche Methoden vorgedrungen waren, tendenziell als vorhersagbare Folge (6) zurückgedreht zur alten Paukschule.

Zielrichtung: „marktkonforme“ Schule

Lemke belässt es im übrigen nicht dabei, selber alles zu tun, um mit illusionären Bildern und einzelnen „Kathedralen in der Wüste“ von den Verheerungen in der Fläche abzulenken, also im Stile der kommerziellen Warenwerbung die konkreten Schwächen des an den Menschen zu bringenden „Produkts“ zu verschleiern, sondern geht zur provokativen Förderung dieses Prinzips in seinem Verantwortungsbereich über: Das traditionelle strikte Werbeverbot in öffentlichen Schulen war - zunächst wenig beachtet - bereits kurz vor seinem Amtsantritt aufgehoben worden. Nun fordert Lemke offensiv die Schulen auf, sich das fehlende Geld gefälligst selbst - unausweichlich in Konkurrenz zueinander - aus den Werbeetats kommerzieller Firmen zu besorgen! Mit aufreizender Unbedenklichkeit betreffend die Chancengleichheit und mögliche Folgen für die Inhalte behauptet er, angesichts prall gefüllter Werbeetats v.a. großer Firmen liege das Geld „auf der Straße“ und man müsse es nur aufheben. Angesichts der offenbar derart erhöhten Profite, dass sich Firmen leisten können, es auf die Straße zu werfen, anstatt zu investieren, moniert ein Diskussionsbeitrag im „Info“ des Stadtverbands Bremen der GEW:

Statt dem Kapital bzw. seinen Sachwaltern einen angemessenen Beitrag zu gesellschaftlich vermittelten Bedürfnissen wie Bildung (und z.B. Gesundheit) in Form von Steuern aufzuerlegen, wird untertänigst darum gebeten, aus den erhöhten Profiten ein Bakschisch nach eigenem Gutdünken auszuwerfen

und benennt, welche Katze Lemke hier - nicht dem Ausmaß nach, aber qualitativ gesehen - aus dem Sack lässt: Das „Sponsoring“ in Schulen sei

dem Ansatz nach (...) der Versuch, einen noch verschärften Sparkurs in der Bildungspolitik vor dem Hintergrund marktradikaler Strategien zum beschleunigten Rückzug des Staates aus den Bereichen, in denen er eine zivilisierende Funktion wahrzunehmen hätte, zu ermöglichen. Anhand eines gerade heute aktuellen Beispiels wird zudem die Gefahr einer schleichenden Beeinflussung der Inhalte des Unterrichts exemplifiziert:

Ist denn vorstellbar, dass Schulen, die auf den Werbeetat des größten Bremer Arbeitgebers Daimler-Benz schielen, z.B. die hiesigen und globalen Folgen des Festhaltens an der technischen und gesellschaftlichen Fehlkonstruktion Individualverkehr noch gebührend thematisieren?

In einem Beschluss der Schulkonferenz des SZ Walle v. Mai 1999 wird die grundsätzliche Kritik in den wesentlichen Aspekten schlüssig zusammen gefasst:

(...) Nach der Bremer Landesverfassung muss das Recht auf Bildung durch öffentliche Einrichtungen gesichert werden (Art. 27). Dieses Verfassungsgebot wird unterhöhlt, wenn an die Stelle steuerfinanzierter Bildungsausgaben ein Wettlauf der Schulen um Werbeverträge tritt.

Damit wird unterstrichen, dass die SchülerInnen dem demokratischen Staat nicht genügend Geld für eine angemessene (Aus-)Bildung wert sind.

Bildungsziele, die nicht kommerzieller Verwertbarkeit dienen, dürfen nicht zurückgedrängt werden. Schule darf nicht durch ihr Beispiel ein unkritisches Verhältnis zur Werbung auch in anderen Bereichen (z.B. Medien) fördern.

Direktem Einfluss kommerzieller Partialinteressen auf die Inhalte muss entgegengetreten werden: Die Lehrpläne legt nur der demokratische Staat im Ergebnis der Auseinandersetzung von relevanten Kräften in der pluralistischen Gesellschaft unter Beteiligung der Selbstverwaltungsgremien der Schule fest.

Das Chancengleichheitspostulat wird verletzt, wenn Schulen in Stadtteilen mit für die Werbung "attraktiveren" Zielgruppen und besseren Verbindungen zu den Verwaltern von Werbeetats ergiebigere zusätzliche Finanzquellen erschließen können als Schulen in sozial belasteteren Stadtteilen.


Der Beitrag im GEW-Stadtverbandsinfo benannte implizit unter Hinweis auf die USA, dass objektiv gesehen die Aufgabe von sozial kompensatorischen Zielen der sozialdemokratischen Bildungspolitik tendenziell in ihr Gegenteil umzuschlagen drohte, nämlich „den Einstieg in eine Kluft a la USA zwischen besser ausgestatteten Schulen für die Etablierten und „schlechteren“ für die Stadtteile mit größeren sozialen Belastungen“.

SPD-Senator bedroht Zweiten Bildungsweg

Ein unübersehbares Indiz für einen bis dahin unvorstellbaren Schwenk der SPD-Bildungspolitik stellte die einschneidende Aushungerung des Zweiten Bildungsweges dar, auf dessen - wenn auch zögerlichen - Ausbau die SPD zuvor mit Recht stolz sein konnte. Ironischerweise wurde diese zu der Zeit beschlossen, in der der bis dahin schärfste Einschnitt in den sozialen Besitzstand in der BRD seit ihrer Gründung durch die Regierung Schröder/Fischer mit dem Herzstück Hartz 4 fühlbar wurde und mit der Formel „fordern und fördern“ gerechtfertigt werden sollte. Lemke schreckte nicht einmal davor zurück, sogar die komplette Schließung der Erwachsenenschule anzudrohen! Das Lehrerkollegium sah sich genötigt, sofort an die Öffentlichkeit zu gehen:

Das Lehrerkollegium der Erwachsenenschule hat einstimmig bei wenigen Enthaltungen in seiner Versammlung am 10.3.05 folgende Protesterklärung beschlossen:

„Der Bildungssenator beabsichtigt, die Erwachsenenschule ganz zu schließen, was der Beseitigung eines ganzen Bildungsganges gleich käme, oder in den nächsten drei Jahren jeweils 10 Vollzeit-Lehrerstellen zu streichen, was im Ergebnis hieße, dass das Lehrerkollegium praktisch halbiert würde. Auch dieses würde das Ende des bisherigen Konzepts der Erwachsenenschule bedeuten. Diese Pläne zeigen, dass inzwischen weder gesellschaftspolitische Zielsetzungen noch pädagogische Überlegungen für bildungspolitische Entscheidungen des Senats maßgeblich sind.

Wer jungen Erwachsenen den zweiten Bildungsweg versperrt, zementiert das Bildungsprivileg gehobener Schichten. Angesichts der Ergebnisse der Pisa-Studie, die eine besonders hohe Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft in Deutschland ergeben hat, wäre das eine Katastrophe. Das gilt in besonderem Maße, wenn in Bremen gleichzeitig das Einstufungsalter für den Besuch weiterführender Schulen um zwei Jahre vorverlegt wird. Im Ergebnis wird der sozialen Demokratie, wie sie das Grundgesetz will, Schaden zugefügt.

Wer ausgerechnet den Teil der Herangewachsenen, der sich unter schwierigen Bedingungen zur verstärkten Bemühung um Bildung entschlossen hat, abweist, demotiviert sie grundlegend. Alles Gerede der Politik auch im Zusammenhang mit den Arbeitsmarktreformen von der verstärkten Bemühung um Qualifizierung junger Menschen wird Lügen gestraft. Es wird signalisiert, dass Betroffene auch durch überdurchschnittliche subjektive und objektive Bemühung nicht drohender Perspektivlosigkeit entgehen können. (...)

Wir appellieren an alle, denen noch an Demokratie und sozialer Gerechtigkeit gelegen ist, die Pläne des Bildungssenators zu vereiteln und den zweiten Bildungsweg in Bremen zu retten.“


Wegen der übersehenen Notwendigkeit, die Fortführung bereits begonnener Kurse in der gymnasialen Abteilung sicher zu stellen, fand der Stellenabbau hier dann langsamer als geplant statt; es blieb aber dabei, dass viele engagierte LehrerInnen mit langjähriger Erfahrung in der Erwachsenenbildung gegen ihren Willen in andere Schulen abgeordnet bzw. versetzt wurden.

Es wuchs, zunächst von vielen als Hirngespinst abgetan, die Angst vor einer mittelfristig drohenden Privatisierungswelle (7) im Schulwesen Bremens, das womöglich eines fernen Tages in die vollständige Auslieferung der Bildung an das Profitprinzip münden würde; noch jede Möglichkeit zur demokratischen Einflussnahme und Nutzung im Sinne gesellschaftspolitischer Zielsetzungen wäre dann ein für allemal unterbunden.

Inzwischen saß bereits ein Vertreter der stramm neoliberalen Bertelsmannstiftung kontinuierlich an den Beratungstischen am Rembertiring, die Vergabe von teuren Evaluierungs- und Beratungsaufträgen an Externe zeugte von der Ratlosigkeit einerseits und Bewunderung „erfolgreicher“ Unternehmensstrategien andererseits der in der Bildungspolitik handelnden Akteure.

Politiker als Unschuldslämmer: autoritärer Druck soll’s richten

Zunächst aber nutzten CDU (die vollends in die Rolle des Antreibers hinein wuchs) und SPD das allgemeine Entsetzen über die bremischen Pisa-Ergebnisse um sich durch brachiales Bashing der ausgerechnet als Sündenböcke ausgeguckten geplagten Lehrer*innen in Form von neu geplanten Zwangsauflagen gegenüber der Öffentlichkeit von ihrer eigenen Verantwortung rein zu waschen. Der Koalitionsausschuss gab seine Pläne bekannt:

- Senkung der Eingangsgehälter (bezeichnenderweise!) im Primär- und Sek.l-Bereich

- Abbau von Altersermäßigung beim Stundendeputat und gleichzeitig Erhöhung ausgerechnet für Berufsanfänger

- Weitere Erhöhung von Unterrichtsverpflichtungen bei angeblich „weniger aufwendigen“ Unterrichtsfächern

- Neue Präsenzpflichten und Pflichtfortbildungen ohne Kompensation

Wer mehr drangsaliert, braucht mehr Unterdrückungsinstrumente. In den neunziger Jahren hatte man eher auf die Gewährung gewisser "Autonomie"-Rechte für einzelne Schulen gesetzt, wahrgenommen durch recht vielfältige Selbstverwaltungsgremien. Das wirkte angenehm demokratisch und hatte für die Politiker den Vorteil, dass die Beteiligten über die konkreten Folgen des rabiaten Sparkurses - der sich als "Sachzwang" darstellte - selbst zu entscheiden hatten und sich womöglich dabei in Verteilungskämpfen untereinander engagierten und nicht in solidarischer Gegenwehr.

Nun hieß es: „Marsch Marsch zurück!“, nämlich ein ganzes Stück in Richtung Obrigkeitsschule. Ein neues Schulverwaltungsgesetz schaffte Mitwirkungsrechte von Eltern, Schülern, Lehrern, nichtunterrichtendem Personal und Vertretern des Ortsamtes bei der Schulleiterwahl ab; der Schulleiter sollte nun einerseits mit "Befehlsgewalt" (er wird erstmalig Dienstvorgesetzter mit Abmahnungsbefugnis usw.) die Schulen autoritär "großen Zeiten entgegen führen", andererseits eng am Gängelband der Behörde, die ihn auch einsetzte und ggf. wieder aus dem Amt entfernen konnte, fest gemacht sein. Die von allen Gruppen bestückte Schulkonferenz verlor ihre Funktion als oberstes Entscheidungsgremium der Schule, die Lehrerkonferenz sollte nicht mehr zu eigenen Entscheidungen über Lerninhalte befugt sein und beide Gremien sollten nicht mehr eine eigene, von der Schulleitung unabhängige Konferenzleitung wählen dürfen.

Dass diese Kehrtwendung sich in eine gesamtgesellschaftliche Tendenz der Entdemokratisierung in Zeiten der „Tina“-Politik („There is no alternative“, copyright: Thatcher/Blair) in hervorragender Weise einordnete, machte in unfreiwilliger Komik die jeden Inhalts bare „Begründung“ für den ersatzlosen Fortfall (!) des Rechts zu Vollversammlungen und Urabstimmungen während der Unterrichtszeit im Entwurf deutlich: "Die Zeit ist darüber hinweggegangen", schreibt da lakonisch die Behörde nur als offizielle Begründung. Da mochte die gesamtbremische Lehrer-Personalversammlung solange schimpfen, wie sie wollte: „Schülervollversammlungen können nicht mit Unterrichtsausfall gleich gesetzt werden. Sie sind ein wichtiger Bestandteil demokratischer Erziehung“ - weg damit, basta!

„Stummer Zwang der Verhältnisse“ an die Front!

Während diese hilflos-autoritäre Phase zur Befriedigung von Law-and-order-Bremern sich auf der Vorderbühne entfaltete, wurde in den Hinterzimmern der Behörde offenbar weiter an Entstaatlichungs-Plänen gebastelt: Zum Entsetzen der Anwesenden projizierte auf einer Lehrer-Personalversammlung ein Behördenmitarbeiter ein professionell gestaltetes, detailliertes Schema zur langfristigen „Vision“ der Aufteilung von staatlichen Aufgaben und entsprechenden personellen Ressourcen an die Wand, in dem der gesamte Bildungsbereich überhaupt nicht mehr auftauchte - worauf er ausdrücklich hinwies (ob in affirmativer oder kritischer Absicht blieb ungewiss). Von wegen Hirngespinste!

Das war vor 2008. Gut möglich, dass es nur der vorüber gehende Zusammenbruch der neoliberalen Ideologie in diesem und den folgenden Jahren im größten weltweiten Crash seit den frühen dreißiger Jahren war, der dafür sorgte, dass der Kelch einer Auseinandersetzung in dieser Richtung an dem „Versuchslabor“ Bremen erst mal vorüber gegangen ist. Bedenkt man allerdings, wie weit die Politik inzwischen längst von der erschrockenen halbherzigen Selbstkritik am neoliberalen Irrsinn wieder abgerückt (8) ist, fragt sich: für wie lange?

„Schulkonsens“: Kaninchen vor der Schlange

Seither dümpelt die Bremer Bildungspolitik allerdings im Prinzip auf dem selbst geschaffenen völlig unakzeptablen Ausstattungsniveau vor sich hin. Die Öffentlichkeit merkt allenfalls kurzfristig mal auf z.B. angesichts der besonders unerträglichen Zuspitzung des Widerspruchs zwischen angeberischem Vorreiter-Anspruch in der - an sich wünschenswerten - Inklusion und Verweigerung der für einen Erfolg mindestens nötigen personellen Mittel. Die Parteien, die zeitweilig an der Regierungspolitik beteiligt waren, haben sich im „Schulkonsens“ zum Stillstand verständigt, was die CDU völlig zurecht als Erfolg für sich reklamiert, weil sein Kernstück, die Bestandsgarantie für durchgängige Gymnasien, ihr Klientel zufrieden stellt. Dieses treibt die Sorge um, ihre Kinder könnten zu viele soziale Erfahrungen mit den „Schmuddelkindern“ aus anderen Schichten machen, die sie von der zielstrebigen Vorbereitung auf das kapitalistische Rattenrennen um privilegierte berufliche Positionen ablenken könnten.

Neuerdings hat sich sogar die Partei „Die Linke“, offenbar im Gefühl der Aussicht auf Regierungsbeteiligung, diesem „Schulkonsens“ ausdrücklich angeschlossen. Nur für kurze Zeit hatte sie zuvor Hoffnungen auf sich gezogen, sie würde für neue Anläufe zu grundlegenden progressiven Umgestaltungen des Schulystems mobilisieren; die Analyse der Gründe hierfür wäre aber ein ganz anderer Aufsatz.

Gleiches gilt für eine Kritik der aktuell bundesweit allgegenwärtigen Reduzierung der Diskussion um Bildungsfinanzierung und -reform auf das Thema „Digitalisierung“ mitsamt der offenkundigen naiven Hoffnung auf kostensparenden Ersatz von pädagogischer Betreuung durch elektronische Ausbildungsmaschinerie.

Wer grundsätzliche Änderungen des Kurses - hier in der so wichtigen Bildungspolitik - herbei führen will, so das allgemeine Fazit, kommt um die mühselige Arbeit der Stärkung von realen Basisbewegungen, die Druck auf alle Parteien auszuüben sich anstrengen, nicht herum.

Anmerkungen

(1) Ob und ggf. inwieweit diese Abkehr nicht zufällig mit dem Epochenbruch von 1989/90 eingesetzt hat, mag jede selbst beurteilen

(2) Die dahinter zu vermutende verkrüppelte Auffassung von „Bildungserfolgen“ stützte sich offenbar bereits auf den bornierten Glauben an die große Aussagekraft von Erbsenzählerei durch nur individuelle und nur schriftliche Abfragerei, der nach der durch die internationalen Wirtschafts-Organisationen (und durch sie vermutlich im „Schulgeschäft“ riesige Profitchancen witternden internationalen Medienkonzerne) veranstalteten Einführung von „Pisa“ bis heute grassiert. Der hier angedeutete Aspekt der Kritik kann im gegebenen Rahmen nicht weiter verfolgt werden.

(3) entgegen der Position, die er explizit noch im innerparteilichen Wahlkampf um das Amt des Regierungschefs bezogen hatte, in dem er für die (zahlenmäßig mögliche) rotgrüne Koalition stand

(4) übrigens nach Studium des Schulsystems der DDR, die sich die Bildung einen doppelt so hohen Prozentsatz des Inlandprodukts kosten ließ wie der reiche „Bruder“ BRD

(5) Dass die Chancengleichheit wesentlich beeinträchtigende dreigliedrige Schulwesen nach nur vier gemeinsamen Grundschuljahren gibt es m.W. nur in den deutschsprachigen Ländern.

(6) Aktuell äußert sich dies z.B. in der Wahlkampfforderung der CDU nach durchgängiger formaler Vergleichbarkeit von Leistungen durch bloße Schulnoten statt individueller Gutachten in den Grundschulen

(7) Scherf hatte, nunmehr Regierungschef, bereits mindestens einen Vorstoß unternommen, wie der Verf. als Vater eines mehrfach behinderten Kindes zufällig mitbekam: Dem Vernehmen nach im Rahmen einer privaten Feier bot er dem Leiter eines karitativen Unternehmens die Privatisierung der noch gut ausgestatteten Schule für Köperbehinderte an, die sich inzwischen vor allem um die Betreuung mehrfach Behinderter verdient machte. Nur mit Hilfe einiger aufrechter sozialdemokratischer Abgeordneter und dann auch der Bildungssenatorin konnte mit Mühe der in der Folge schon weit gediehene Plan vereitelt werden.

(8) Z.B. treibt inzwischen offenbar Finanzminister Scholz ungerührt wieder die Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank voran, nachdem Merkel seinerzeit für kurze Zeit die Position bezogen hatte, man dürfe nie wieder zulassen, dass eine Bank so groß wird, dass man sie zur Abwendung des Systemabsturzes mit Steuergeldern retten muss.

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