von Helmut Donat*
Im Berliner Stadtteil Lichterfelde gibt es immer noch eine Straße, die nach Hitlers Steigbügelhalter Paul von Hindenburg benannt ist, der Hindenburgdamm. Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) spricht sich gegen eine Umbenennung aus, will stattdessen mit Informationsstelen einen "verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte" praktizieren. Gegen dieses Vorgehen wendet sich der Bremer Publizist und Verleger Helmut Donat in einem offenen Brief, den wir nachfolgend dokumentieren. (hw)
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wegner,
es ist ein moralischer Fortschritt, wenn Bürger unseres Landes sich dafür einsetzen, Straßen, Plätze oder Kasernen nicht weiter dem Namen eines Kriegsverbrechers zu überlassen. Parolen wie „Wir sind Hindenburg“, so von der Landesgeschäftsstelle der CDU Niedersachsen 2022 vertreten, sind ein Schlag ins Gesicht der kritischen historischen Aufklärung. Der Vorschlag, durch Hinweisschilder Hindenburg als Namensgeber zu retten, wirkt wie eine Ausflucht und bedient die „ewigen Hindenburg-Deutschen“.
Straßennamen stellen eine Ehrung dar. „Sie verweisen“, so Friedrich von Mansberg, Intendant und Chefdramaturg am Theater Lüneburg, auf die Verdienste einer Person, für diese Stadt und oder weit darüber hinaus. Und das wird auch durch die Anbringung von Hinweisschildern nicht anders.“
Hindenburg war antidemokratisch, monarchistisch, republikfeindlich gesinnt, korrupt und Kollaborateur des NS-Regimes. Er hat den Hass gegen den äußeren und inneren Feind gefördert (u.a. mit der „Dolchstoßlegende“). Seine Verdienste als „Feldherr“ sind begrenzt. Bei der Schlacht in Masuren griff er auf den Plan seines Vorgängers, General Hermann von François, zurück und heimste den Erfolg für sich ein, so in den Memoiren von General Max Hoffmann nachzulesen. Niederlagen ließ Hindenburg stets auf das Konto anderer buchen. Seine Tätigkeit im großen Generalstab und in der OHL war die Ursache vieler Fehlschläge, so z. B. die der großen Märzoffensive 1918. Er und Ludendorff unterschätzten stets die Kraft der feindlichen Streitkräfte, insbesondere auch die der Amerikaner. So sah es auch der Kronprinz im Interview mit einem Journalisten von „Associated Press“ Anfang Dezember 1918.
Der Ruhm Hindenburgs, der manchen Kreisen weiterhin als „deutscher Held“ gilt, beruht auf Legenden, Lügen sowie auf der Ausbeutung, die er gefördert hat. Millionen von Arbeitern, Bauern und Mittelständlern haben ihn abgelehnt, weil er zugelassen hat, ihnen den Lohn zu rauben, den Ertrag ihrer Äcker zu mindern und ihre Einkommen zu schmälern. Hindenburgs Unterschrift steht unter:
– Brünings Notverordnung zum Lohnabbau, der zur Steuererhöhung sowie der
zum Abbau der Erwerbslosenversicherung,
– unter der Erklärung zur Absetzung der Preußen-Regierung,
– unter Hitlers Ernennungsdekret zum Reichskanzler und unter dem Dankbrief an Hitler nach den Morden des 30. Juni 1934
– sowie unter den Befehlen der Verwüstungsorgien in Nordfrankreich und Belgien im Frühjahr 1917 und im Herbst 1918.
Hindenburg war ein Steuerhinterzieher. 1932 erhielt er das Gut Neudeck, Stammsitz seiner Vorfahren, von den Junkern und ostelbischen Großgrundbesitzern geschenkt. Um keine Steuern zahlen zu müssen, wurde das Gut auf den Sohn Hindenburgs überschrieben und der Staat um die Erbschaftssteuer geprellt. 1933 schenkte Hitler Hindenburg weitere 10000 Morgen zum Gut Neudeck.
Die „Osthilfe“, das größte Subventionsprogramm der Weimarer Republik, wurde von Hindenburg selbst auf den Weg gebracht. Sie war stets sein liebstes Kind. Sie sollte der maroden Wirtschaft der ostelbischen Großgrundbesitzer zu neuem Aufschwung verhelfen. In Wirklichkeit war sie deren „Raubzug gegen den Staat“ (Rudolf Olden). Sowohl Brüning als auch Papen mussten als Reichskanzler gehen, weil sie den Interessen der Ostelbier widersprachen. Gleiches widerfuhr Kurt von Schleicher. Mit Osthilfegeldern wurden Güter finanziert, deren Besitzer über rentable Fabriken verfügten, oder Autos gekauft für Ferien an der Riviera. Ende Dezember zeichnete sich ab, dass Hindenburg selbst (wie andere Mitglieder des preußischen Adels) in den „Osthilfeskandal“ verwickelt war und er sein Amt als Reichpräsident durch Eingriffe für Verwandte missbraucht und sich korrupt verhalten hatte.
Um seine eigene Haut zu retten, machte er Hitler zum Reichskanzler, der im Gegenzug den Skandal niederschlug und die Presse knebelte. Damit lieferte Hindenburg Zehntausende der Wähler, die im April 1932 für ihn gestimmt hatten, um Hitler zu verhindern, dem NS-Regime aus. Im Berliner Volksmund kursierte seinerzeit der politische Witz: „Hindenburg macht eine Reise durch die Konzentrationslager, um seine ehemaligen Wähler zu besuchen!“
Als es in Münster um die Rückbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz ging, wurden jedem Interessierten die Argumente für das Für und Wider zugänglich. Das Ergebnis und die Schlussfolgerungen fasste Markus Lewe, CDU-Oberbürgermeister von Münster damals – 2012 – mit den Worten zusammen: „Das bisherige Namenspatronat Hindenburgs ist angesichts jüngerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und eines dadurch veränderten Geschichtsbildes nicht mehr haltbar. Hindenburg wollte hinter die Demokratie von Weimar zurück und die freiheitliche Ordnung in eine autoritär-obrigkeitliche umwandeln.“
Wer Hindenburg ehrt, entehrt seine Kritiker. Zu ihnen gehört Theodor Lessing. Gegen ihn wurde 1925 eine reichsweite antisemitische Hetzkampagne inszeniert, weil er Hindenburg ein „Zero“ genannt hatte, hinter dem „immer ein künftiger Nero verborgen steht“. Lessing wurde 1933 im Marienbader Exil von Nazis ermordet.
Die Frage nach der Traditionswürdigkeit einer Persönlichkeit ist eine ernste Angelegenheit. Der nach Hindenburg benannte Straßenname sollte entfernt und an dessen Stelle der von Edith Jacobson gesetzt werden. Anderenfalls laufen Sie, Herr Regierender Bürgermeister Gefahr, das Ansehen Berlins und Ihr eigenes zu schädigen.
Mit freundlichen Grüßen,
Helmut Donat
Unterstützen Sie bitte die "Initiative Edith-Jacobson-Damm" mit Ihrer Unterschrift. Zeichnen Sie die Petition unter: https://www.change.org/p/benennen-wir-den-hindenburgdamm-in-berlin-in-edith-jacobson-damm-um
Weitere Hintergrundinfos zum "Wirken" Hindenburgs: Die "Alberich-Bewegung"
Auf dem Rückzug der deutschen
Truppen aus Nordfrankreich und
Belgien im Herbst 1918 befahl
die OHL unter Hindenburg und
Ludendorff ein ungeheures Verwüstungssprogramm
(Ersäufen
aller Kohlebergwerke, Abholzen
von Obstplantagen, Zerschlagen
der Infrastruktur sowie die Zerstörung
von etwa 20.000 Fabriken
und deren Ausraubung etc.).
Bereits im Frühjahr 1917 erfolgte
die Plattmachung des
rund 120 Kilometer langen und
15 Kilometer breiten, nördlich und
südlich der Somme gelegenen
Geländestreifens zwischen Arras
und Soissons. Es handelte sich
um eine »Frontbegradigung«
unter dem Decknamen »Alberich-
Bewegung«. Frieder Riedel
schreibt dazu in dem Buch »Das
Gesicht des Krieges« (2006):
»Um das Gebiet zwischen dem
alten Frontverlauf (…) für den
Feind gänzlich unbrauchbar zu
machen, zerstörten deutsche
Pioniere systematisch die gesamte
Infrastruktur (…). Sie
sprengten jeden Brunnen, jede
Brücke, jeden Kirchturm und die
meisten Häuser. 280 französische
Dörfer wurden so dem Erdboden
gleichgemacht (…). Man
muss als Deutscher im nachhinein
feststellen, dass der Hass der
französischen Zivilbevölkerung
nach dem Ersten Weltkrieg (…)
maßgeblich auch durch die blindwütige
Zerstörung einer riesigen
Kulturlandschaft ohne Kampfhandlungen
sich entwickelt hat.«
Das gesamte Gebiet wurde
in eine öde, tote Wüste verwandelt
– bei gleichzeitigem Abtransport
von etwa 150.000 Einwohnern:
Pionierarbeit, von
Hindenburg und Ludendorff
befohlen. Hauptmann Willy
Meyer berichtet dazu 1919 in der
Münchener Post: »Es ist lohnend,
sich einmal anschaulich in die
Lage und Seele der Bewohner zu
versetzen (…). Wir werden dann
manche Bedingungen des Friedensvertrages
besser verstehen
lernen. Es war damals harter
Winter, als der Abtransport der
Einwohner von Haus und Hof geschah.
Alles, alles ging verloren.
Es ließ sich auch nicht vermeiden,
dass bei der ›Verschleppung‹ die
Familien getrennt wurden, der
Mann von der Frau, die Mutter
vom Kinde. Wann und wo mögen
sie sich wiedergefunden haben?
Sie und ihr Besitztum waren
nichts weiter als seelenlose Faktoren
im Kriegsplan des großen
Generals (…). Vom menschlichen
Standpunkt aus ist die ›Alberich-
Bewegung‹ ein fluchwürdiges
Verbrechen.« Es ist mehr als
überfällig, Hindenburgs militärisches
und politisches Wirken
nicht weiter zu verharmlosen.
Von der brutalen Kriegführung
der OHL führt ein nahezu gerader
Weg zu den von der deutschen
Wehrmacht und den Schergen
der Naziorganisationen von 1939
bis 1945 begangenen Greueltaten.
Die »Politik der Verbrannten
Erde« nahm ihren Anfang im
Ersten – und nicht im Zweiten
Weltkrieg.
Aus: Helmut Donat:
Wider den fragwürdigen Umgang
mit der Vergangenheit.
Bremen 2022, S. 47 ff.
* Helmut Donat
Jg. 1947, Bankkaufmann, Lehrer und zeitweise Lehrbeauftragter der Universität Bremen, heute als Historiker, Verleger und Publizist tätig; Mitbegründer des Arbeitskreises Historische Friedensforschung, Organisator diverser Ausstellungen sowie von Kulturtagen und -veranstaltungen, zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des deutschen Pazifismus und Militarismus, zum „Historikerstreit“, zur „Wehrmachtsausstellung“, zum Kontinuitätsproblem der deutschen Geschichte, zur Kriegsschuldfrage von 1914 und dem deutschen Annexionismus im Ersten Weltkrieg, zu den Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus sowie zum Völkermord an den Armeniern; für sein verlegerisches Engagement und publizistisches Wirken mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Carl von Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg. Lebt im Bremer Stadtteil Borgfeld.
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