von Holger Balodis
02.12.2021
Ein gutes Beispiel, wie mit Unkorrektheiten und Verdrehungen die Rente in ein schlechtes Licht gerückt wird, liefert die jüngste Publikation Bye-bye Babyboomer im Informationsdienst iwd des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).* Befeuert wird darin wieder einmal vom Wirtschaftsinstitut der Arbeitgeber der falsche Eindruck, die Verrentung der Babyboomer-Generation bringe den Sozialstaat ins Wanken und mache die Renten unfinanzierbar. Ärgerlich ist das vor allem, weil diese These mit wissenschaftlichen Daten vermeintlich unterfüttert wird.
Der Anteil der 18 bis 67-jährigen an der Gesamtbevölkerung sinke - so die IW-Prognose - von 65,2 Prozent (2020) auf 59,6 Prozent im Jahr 2035. Sicher ist das nicht, da das Ausmaß an Zuwanderung noch völlig ungewiss ist. Ein echter ökonomischer Fauxpas ist aber, wenn die Arbeitgeberforscher aus einem sinkenden Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter messerscharf folgern, dass eine kleiner werdende Zahl an Erwerbstätigen die Einkommen einer größer werdenden nicht arbeitenden Bevölkerung erwirtschaften muss.
Das muss keineswegs so sein, denn Personen im erwerbsfähigen Alter und tatsächlich Erwerbstätige sind schon immer zweierlei. Es ist stets die Frage, wie gut das Potenzial von Menschen im Erwerbsalter ausgeschöpft und in Erwerbsarbeit umgesetzt wird, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Und rechnet man die vom IW publizierten Anteile in absolute Zahlen um, verlieren sie augenblicklich an Dramatik. Die 59,6 Prozent bedeuten für 2035 bezogen auf 83 Millionen Gesamtbevölkerung noch immer ein Potenzial von 49,5 Millionen Personen im Erwerbsalter. Das sind über 4 Millionen mehr als wir derzeit an Erwerbstätigen zählen. Es gibt also auch in Zukunft trotz Verrentung der Babyboomer weiterhin genug Köpfe, um die Beschäftigung hoch zu halten. Und sollte es gelingen, die Erwerbsquote der Frauen weiter zu steigern, die Arbeitslosigkeit abzubauen und den Anteil der erwerbstätigen Alten zu erhöhen, so ist sogar eine weitere Steigerung der Erwerbstätigkeit denkbar.
Was die gesetzliche Rente angeht, so bliebe zusätzlich als Finanzquelle noch die schrittweise Einführung einer Erwerbstätigenversicherung, also die Eingliederung von Selbstständigen, Freiberuflern und Beamten. Dann wären auf Jahrzehnte hinaus genug Beitragszahler da, um die Renten für alle sogar deutlich anzuheben. Doch mit solchen Argumenten befassen sich die Forscher des Arbeitgeberinstituts nicht. Statt dessen beklagen sie plakativ die über Jahrzehnte gefallene Produktivität in der deutschen Wirtschaft.
In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts lag sie bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt noch bei 5 Prozent jährlich. Im vergangenen Jahrzehnt war es nur noch knapp 1 Prozent jährlich. Das klingt wenig und - so behaupten die IW-Forscher - reiche bei weitem nicht, um den Aderlass der Generation Babyboomer auszugleichen.
Auch diese Behauptung hält einer kritischen Betrachtung nicht stand, wie eine einfache Überlegung zeigt: Wenn in 15 Jahren das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP, aktuell rund 3.400 Milliarden Euro) durch Produktivitätssteigerungen um mindestens 15 Prozent (= 1 Prozent pro Jahr) steigen sollte, so eröffnet das einen enormen Verteilungsspielraum von rund 500 Milliarden Euro (zu heutigen Preisen). Genug, um die rückläufigen Beitragseinnahmen aus der Verrentung der Babyboomer auszugleichen. Aber zu diesen rückläufigen Beitragseinnahmen muss es ja - siehe oben - ohnehin nicht kommen.
Aber auch das passt eben nicht ins Konzept des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Arbeitgeberforscher beklagen lieber die hohen Sozialkosten und fordern stattdessen mehr Privatisierung in der Alterssicherung. Die Ampelkoalition scheint leider ebenfalls in diese Richtung gehen zu wollen.
*Bye-bye Babyboomer, iwd Nr.24/2021, S. 12ff, 25.11.2021
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