von Bernd Hontschik*
22.11.2021
Schon mal von der Desiderius-Erasmus-Stiftung gehört? Das
ist die 2018 gegründete und somit jüngste politische Stiftung,
die sich auf ihrer Homepage als „ideell der Alternative für
Deutschland (AfD)“ zugehörig beschreibt. Die Desiderius-
Erasmus-Stiftung fordert zehn Prozent von den 660 Millionen
Euro, die im Bundeshaushalt für die Verteilung an politische
Stiftungen vorgesehen sind. Bis jetzt waren das die Friedrich-
Ebert-Stiftung (SPD), die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU), die
Hanns-Seidel-Stiftung (CSU), die Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne),
die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) und die Rosa-
Luxemburg-Stiftung (Linke). Die Verteilung der Gelder geschah
bislang immer auf der Basis des Gewohnheitsrechts,
ohne gesetzliche Grundlage.
Obwohl die Desiderius-Erasmus-Stiftung also zur AfD gehört,
setzt sie sich – laut Homepage - für die Förderung des demokratischen
Staatswesens und die Vermittlung staatsbürgerlicher
Bildung ein. Hört, hört! Erika Steinbach ist die Stiftungsvorsitzende,
die die Maskenpflicht in der Pandemie mit dem
Tragen des Judensterns vergleicht, die gegen „zügellose Zuwanderung“
hetzt, die den Hass auf Walter Lübcke geschürt
hat, Vergewaltigung in der Ehe straffrei sehen möchte und
behauptet, dass fünfzig Prozent der an Corona erkrankten
Intensivpatienten „aus dem arabischen Raum“ stammen. Auf
der Stiftungs-Homepage ist dagegen von „Toleranz auf allen
Gebieten der Kultur“ und von „Völkerverständigung“ die
Rede. Wie passt das zusammen?
Ich suche die Antwort in den gesundheitspolitischen Vorstellungen
der AfD. Leider komplette Fehlanzeige: Im Grundsatzprogramm
der AfD kommt das Wort Gesundheit nicht ein
einziges Mal vor! Auch zum Gesundheitswesen findet sich
kein einziges Wort. Gerade noch rechtzeitig zur Bundestagswahl
2021 hat die AfD in ihrem Wahlprogramm die Kurve
gekriegt und ein unzusammenhängendes Allerlei, zufällig
herausgepickt aus den Programmen anderer Parteien, garniert
mit einem Schuss Frauenverachtung und Behinderten-
Bashing zusammengeschustert, damit niemand merkt, dass
sie eigentlich nichts zu sagen hat: Das Fallpauschalen-System
im Krankenhaus will man abschaffen, dazu Schulgeldfreiheit
in der Pflegeausbildung, Abschaffung der Budgetierung für
niedergelassene Ärzte, Wiedereinführung der Brillenversorgung
als Kassenleistung und ein Verbot der Konversionsbehandlung
von Homosexualität. Der „überproportionale“ finanzielle
Anteil Deutschlands an der internationalen Gesundheitspolitik
soll reduziert und stattdessen für die über vier
Millionen armen deutschen Kinder verwendet werden, Frauen
wird das Recht auf Abtreibung abgesprochen und es muss
Schluss sein mit den „aus dem Ruder laufenden Kosten“ für
die gesundheitliche Versorgung von Migranten, Flüchtlingen
und Asylbewerbern.
Dass sich dahinter die knallharte fremdenfeindliche und menschenverachtende
Zielsetzung einer im Kern rechtsradikalen
Partei verbirgt, blitzt nur gelegentlich kurz auf, dann aber
heftig. Eine parlamentarische Anfrage der AfD vom März
2018 mit der Überschrift „Schwerbehinderte in Deutschland“
benennt „Heirat innerhalb der Familie“ als Ursache für Behinderungen
bei Kindern. 60 Prozent aller Todesfälle und
Erkrankungen könnten verhindert werden, „wenn die Inzucht
beendet würde“. Die AfD fragt, wie sich die Zahl der Behinderten
seit 2012 entwickelt hat, „insbesondere durch Heirat
innerhalb der Familie“. Mit der infamen Zusatzfrage: „Wie
viele Fälle haben einen Migrationshintergrund?“ entlarvt sie
sich dann selbst. Alle achtzehn großen deutschen Sozialverbände
erklärten daraufhin, diese Anfrage erinnere „an die
dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, in denen Menschen
mit Behinderung das Lebensrecht aberkannt wurde
und die zu Hunderttausenden Opfer des Nationalsozialismus
wurden.“
Spätestens jetzt, seit die Feinde der Demokratie Ansprüche
anmelden, braucht die Stiftungsfinanzierung eine gesetzliche
Grundlage. Nur so kann verhindert werden, dass eine Stiftung,
die sich zu einer antidemokratischen, rassistischen,
fremdenfeindlichen, mit Rechtsradikalen verbundenen Partei
bekennt, aus Steuergeldern finanziert wird.
Dieser Text erschien am 20.11.21 als Kolumne in der Frankfurter Rundschau
Die Kampagne "Kein Steuergeld für die AfD-Stiftung" können Sie hier unterzeichnen
*Bernd Hontschik
Dr. med. Bernd Hontschik, geb. 1952, war bis 1991 Oberarzt an der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses Frankfurt-Höchst und bis 2015 in eigener chirurgischer Praxis tätig. Er ist Autor des Bestsellers "Körper, Seele, Mensch" und Herausgeber der Reihe "medizinHuman" im Suhrkamp Verlag. Er schreibt Kolumnen in der Frankfurter Rundschau, ist Mitglied bei der Uexküll-Akademie (AIM), bei mezis und bei der IPPNW und im wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift "Chirurgische Praxis". www.hontschik.de/chirurg
Letzte Veröffentlichungen: "Erkranken schadet Ihrer Gesundheit", Westend-Verlag 2019, "Kein Örtchen. Nirgends." Westend-Verlag 2020.
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