Militärglorifizierung im Bremer Dom? – Zur Einladung und zum Vortrag von Frau Barbara Fellgiebel in der St. Petri Domgemeinde zu Bremen am 14. Juli 2024

Texte von Lorenz P. Tews und Helmut Donat

"Vor achtzig Jahren verübte Stauffenberg ein Attentat auf Adolf Hitler. Getragen wurde das Attentat vom christlichen Widerstand. Beteiligt war u.a. Erich Fellgiebel, General der Nachrichtentruppe der Wehrmacht. Seine Enkelin Barbara Fellgiebel erzählt im Domgottesdienst ... die Geschichte ihres Großvaters." Ankündigung von Pastor Henner Flügger. In: „Domnachrichten“, Mai 2024 – Juli 2024, S. 22

"Wer sich verbiegt, verliert seine Aufrichtigkeit und Haltung!" (Lorenz P. Tews) In Anlehnung zu einem Predigtzitat von Dompastor Christian Gotzen vom 19.5.2024:  "Anbiederung um jeden Preis verwischt das eigene Profil!"

Friedrich Wilhelm Foerster im Jahre 1938
„Die Tragik des deutschen Christentums … besteht gerade auch darin, dass der Nationalismus und Militarismus, dem sie sich so vorbehaltlos ergaben, eine ausgesprochene Verherrlichung des Krieges, doch eine zynische Absage an die moralischen und religiösen Mächte, einen offenen Pakt mit den dämonischen Mächten bedeutete. Und eben diese innerste geistige Aussöhnung mit der politischen Barbarei hat sich so furchtbar gerächt und wird sich noch furchtbarer rächen: die deutschen Christen haben sich ihre Henker selber herangezogen.“

Nein, Nein! Aufhören, hört endlich auf mit der Verdrehung von Tatsachen und der Bildung von unhaltbaren Legenden! General Fellgiebel war kein Vertreter des „christlichen Widerstands“. Mitnichten! Erich Fellgiebel gehörte, so der Forschungsstand, dem militärischen Widerstand des 20. Juli 1944 an. Es gab kein von Christen oder ihren Kirchen geplantes oder „getragenes“ Attentat. Es ist zu fragen: Wo war der General am 9. November 1938, als im Land die Synagogen brannten? Welche Haltung hat er gegenüber dem Antisemitismus vor und nach 1933 eingenommen? Wie stand er zur Verabschiedung der jüdischen Rassegesetze 1935 und deren Verwirklichung? Hat er jemals gegen die Ausgrenzung, Deportation und Vernichtung der Juden protestiert? Und wenn ja, wie? Warum haben ihn seine christlichen Grundsätze nicht dazu angeleitet, dem Dienst in einem verbrecherischen Krieg zu entsagen?

Erich Fellgiebel hat als Chef des Heeresnachrichtenwesens, auch „Strippenpapst“ genannt, zur Kriegsertüchtigung maßgeblich beigetragen und die Kampfkraft der Truppen erhöht (u.a. durch die Ausstattung der Panzer mit Funkgeräten) – und der Wehrmacht in den ersten Jahren ihres Eroberungs- und Vernichtungskrieges bedeutende Vorteile verschafft hat.

Andenken, wem Andenken gebührt!
Im Unterschied zu der Haltung von General Fellgiebel gab es eine Reihe pazifistischer Offiziere, die sich lange vor 1933 gegen den Militarismus und Nationalismus, den weiter propagierten „Schwertglauben“, die Zerstörung der Demokratie und den erstarkenden Nationalsozialismus gewandt haben. Stellvertretend seien dafür genannt: Paul Freiherr von Schoenaich, Berthold von Deimling, Georg Wilhelm Meyer, (Bremen), Hans Georg von Beerfelde, Franz Carl Endres, Hans Paasche und Heinz Kraschutzki.* Diesen zumeist verdrängten und vergessen gemachten Gegnern einer sich auf den Krieg stützenden Macht- und Gewaltpolitik, gebührt daher weit mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung, als es bislang der Fall ist.

Lorenz P. Tews, Bremen

* Vgl. dazu das in zweiter, ergänzter Auflage erschienene Buch „Weiße Raben – Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871-1933“ – Hrsg. von Wolfram Wette unter Mitwirkung von Helmut Donat, Bremen 2020

*


Gegen den Versuch, die Bremer Widerstands-Offiziere Helmuth Groscurth und Hans Graf von Sponeck zu „Vorbildern heutiger demokratischer Gesinnung“ zu machen, hat sich im Juli 2004 der Verleger, Historiker und Publizist Helmut Donat deutlich ausgesprochen. Danach gefragt, was er von der Erzählung von Frau Fellgiebel im Bremer St. Petri-Dom halte, schreibt er:

Frau Barbara Fellgiebel vertritt die Auffassung, Geschichte wiederhole sich heute leider wieder. Der Aufstieg einer rechtsextremistischen Partei weise erschreckende Parallelen zum Erstarken der Nazis auf. Sie scheint sich gut auszukennen – oder wird hier die AfD vielleicht dazu benutzt, um so dem Résistancemythos, der sich um die Offiziere des 20. Juli 1944 seit langem rankt, das Wort zu reden und eine neue Art der Ehrenrettung des Militär- und Soldatentums zu etablieren?

Mit anderen Nachkommen von Widerstandskämpfern schlägt sie allen Mitbürgern in einem Aufruf vor, „der Neuen Rechten in unserem Land und europaweit die Stirn zu bieten“ und die „liberale und rechtsstaatliche Demokratie zu bewahren und zu verteidigen“. Das ist zu begrüßen. Wir wissen aber, dass sehr viele der Militärs, die an dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler beteiligt waren, keineswegs die Weimarer Republik gegen die Entwicklung nach rechts in Schutz genommen, sondern sie bekämpft und erheblich zu ihrem Sturz beigetragen haben. Viele von ihnen ebneten dem menschenverachtenden NS-Regime den Weg und unterstützten dessen kriegerische Macht- und Eroberungspolitik willfährig. Was hat Erich Fellgiebel getan, als man 1933 die Gegner der Nazis verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt, gequält und umgebracht hat? Hat er ebenso wie viele andere Christen die Juden im Stich gelassen, als es darauf ankam, ihnen beizustehen und ihnen zu helfen? Welche Antworten gibt die Enkelin des Generals darauf? - Keine.

Zu viele deutsche Militärs sind weit mehr als nur Mitläufer gewesen – und haben daraus Vorteile und gesellschaftliche Anerkennung gezogen. Es mag eine Reihe von ihnen ehren, dass sie durch ihren Widerstand zur Menschlichkeit zurückgefunden haben. Aber sind sie deshalb „Vorbilder“? Und sind sie deshalb heute sogar als Vertreter eines „christlichen Widerstandes“ hochzuloben?

Die Rolle der deutschen Generalität vor und nach 1933 ist als jammervoll zu bezeichnen. Sie war, was den Niedergang der Republik und den Aufbau des „Dritten Reiches“ betrifft, eine der schuldigsten Gruppen. Sie hat Hitler freudig die Hand gereicht. Die Wehrmacht war eine der Säulen des NS-Staats. Und es ist nicht zu übersehen, dass viele Offiziere den Krieg solange tolerierten, wie er erfolgreich zu verlaufen schien. Sie haben mitgemacht, die Entwicklung ihrem Lauf überlassen und sich oft erst in den Widerstand begeben oder sich ihm angeschlossen, als alles auf eine Niederlage hinauslief und es auf dem „Feld der Ehre“ nichts mehr zu gewinnen gab. Wird Frau Fellgiebel darauf hinweisen, dass ihr Großvater nach 1933 ein „ebenso opportunistisches wie kurzsichtiges Zusammengehen mit Hitler“ (Konrad Fuchs) an den Tag gelegt hat? Und warum er das tat?

Nahezu alle hochrangigen Offiziere tragen Verantwortung dafür, dass die Demokratie, der Frieden und die Freiheit auf der Strecke blieben – im Unterschied zu jenen Offizieren, die dem Antisemitismus und Judenhass die Stirn boten, die Demokratie verteidigt und vor dem Weg in den Zweiten Weltkrieg gewarnt haben. Warum orientiert sich Frau Fellgiebel nicht an ihrem Engagement und Vorbild? Weil sie nicht mit ihnen verwandt ist? Oder weil diese als „weiße Raben“ das Denken und Handeln ihres Großvaters als fragwürdig erscheinen lassen? Frau Fellgiebel behauptet, der 20. Juli hätte „unglaublich viel mit heute zu tun“, weil „die Feinde der Demokratie trotz aller Skandale und Durchsichtigkeit ihrer Ziele solche Wahlergebnisse erzielen“. Das mache ihr „große Sorgen“, und sie „verstehe es nicht“. Wie soll sie das auch? Macht sie doch aus „Feinden der Demokratie“, die sich im militärischen Apparat vor 1914 und nach 1918 wie nach 1933 nur so tummelten, „Ehrenretter“ – und vergisst dabei, dass möglicherweise auch ihr Großvater eher ein Feind als ein vehementer Verfechter der Demokratie gewesen ist. Und die Bremer Domgemeinde? Sie klatscht dazu, und erklärt jene, die sich – wie viele Kirchenführer in der Zeit nach 1918 – für deutschnationale, antirepublikanische Standpunkte stark gemacht haben, zu Vertretern „christlichen Widerstands“?



Anmerkung der Redaktion
Nach ihrer Rede hat ein langjähriger Teilnehmer an Gottesdiensten im Dom, Lorenz P. Tews, unerwartet und protestierend das Wort ergriffen und für alle Anwesenden vernehmbar zwei Fragen an die Enkelin von E. Fellgiebel gerichtet ("Wo war Erich Fellgiebel am 9. November 1938, als die Synagogen brannten?" Und: "Wo war Erich Fellgiebel bei der Verabschiedung der jüdischen Rassegesetze 1935") und sich gegen eine "Militärglorifizierung im Bremer Dom" gewandt. Sofort wurde Tews von Pastor Henner Flügger, der den Gottesdienst leitete, aufgefordert, den Dom zu verlassen. Später wurde ihm noch Hausverbot für die Zukunft erteilt.

Was wir hier erleben, ist nicht nur eine zunehmende Anpassung an die gespenstisch schnell voranschreitende Militarisierung unserer Gesellschaft, sondern auch ein Beitrag zur Entdemokratisierung unserer Gesellschaft. Wo sind wir nur angelangt, wenn schon allein kritische Fragen, auf die man hätte sachlich reagieren können, zur Ausgrenzung führen. Ein Vorgang, der nicht nur an Hochschulen, in den Medien und wissenschaftlichen Instituten zu beobachten ist, sondern offensichtlich auch - zumindest Teile - der Kirche erfasst hat. Kein Wunder, wenn sich so mancher dabei an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erinnert fühlt.

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