Das Renten-betrugs-paket II
von Reiner Heyse*
22.03.2024
Am 6. März haben Finanzminister Lindner und Sozialminister Heil die Katze aus dem Sack gelassen und damit Klarheit geschaffen:
Das Rentenpaket 2 wird in jeder Hinsicht ein Betrugsprojekt. Es besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen. Der Sicherung des Rentenniveaus bis 2039 (48% netto vor Steuern -dazu weiter unten) und der Einführung der Aktienrente, fälschlicherweise als „Generationenkapital“ benannt.
Im strafrechtlichen Sinne handelt es sich bei der Aktienrente offensichtlich um einen schieren Prospektbetrug (§ 264a StGB Kapitalanlagebetrug – siehe Anmerkung 1).
Mit der Aktienrente werden, so das (Prospekt-)Versprechen des Koalitionsvertrags
aus 2021,
„wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und
Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen
Rentenversicherung einsteigen.“
Nichts davon wird passieren. Folgendes haben Lindner und Heil verkündet:
Der Staat wird sich Geld leihen, das er einer staatseigenen Stiftung zur Verfügung
stellt, die damit an Finanzmärkten spekulieren soll. Der Staat wird sich also als ein
Hedgefondsmanager betätigen. Die Erträge des Fonds sollen dann ab 2036 in den
Haushalt der Deutschen Rentenversicherung abgeführt werden.
Das Betrugsprojekt im Detail und mit konkreten Zahlen
Im Jahr 2024 sollen Anleihen von 12 Milliarden Euro aufgenommen werden. Diese
Summe wird jedes Jahr um 3 % erhöht, so dass im Jahr 2036 bereits 17 Mrd. €
Schulden neu aufgenommen würden. Lindner und Heil erwarten dann einen
Kapitalstock in dem Rentenfonds von 200 Mrd. €, der Erträge von 10 Mrd. €
generiert (also einer Verzinsung von 5% erzielt). Die 10 Milliarden würden nach
ihrer Darstellung die Rentenversicherung ab „Mitte der 2030er Jahre“ um 0,3
Prozentpunkte entlasten.
Was passiert tatsächlich
Auf die Schulden müssen natürlich Zinsen gezahlt werden. Die betragen gegenwärtig
für 10-jährige Staatsanleihen zwischen 2,5 % und 3 %. Bleibt es bei dieser
Größenordnung, müssten bis 2036 zwischen 28 und 32 Milliarden Euro Zinsen
gezahlt werden.
Unterstellt, dass in den kommenden Jahren die EU-Zielinflationsrate von 2% erreicht
würde, wäre die Kaufkraftrelation der 12 Mrd.€ aus 2024 bis 2036 auf etwa 9 Mrd. €
geschrumpft.
Zinsen und Geldentwertung machen zusammen also 4,5 % bis 5 % aus. Wenn
darüber hinaus noch eine Realverzinsung von 5 % erreicht werden soll, müsste der
am Markt erzielte Nominalzins in der Größenordnung von 10% liegen. Das ginge nur
mit hochriskanten Anlagestrategien – die Altersversorgung würde dem Casinobetrieb
der Finanzmärkte ausgeliefert.
Worin besteht der Betrug genau?
Und warum wird er nicht wahrgenommen?
Die Aktienrente leistet die nächsten 12 Jahre keinerlei Beitrag zur „Stabilisierung
von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz“. Nicht einen Cent.Die danach
hochspekulativ errechneten 0,3 Prozentpunkte Beitragsentlastung machen noch
nicht einmal 10 % der dann zu erwartenden Mehrkosten für die Altersversorgung
aus.
Was würde einem Vermögensmanager, sagen wir der ALLIANZ Global Investors,
passieren, wenn er mit einem vergleichbaren Anlageversprechen, Geld an den
Finanzmärkten einwürbe und dann offenbaren müsste, dass er die Anleger hinters
Licht geführt hätte? Antwort: Er würde auf Schadenersatz verklagt und müsste
zusätzlich eine satte Strafgebühr an den Staat abführen.
Beweis: die beispielhaft genannte ALLIANZ Global Investors verzockte sich in
Arkansas/USA mit den Rentenbeiträgen von Teamsters- und Teacher-
Gewerkschaften. Die Geschädigten verklagten die Allianz und bekamen Recht. Die
ALLIANZ musste 5 Milliarden Dollar Schadenersatz zahlen und bekam zusätzlich
eine Strafe von 860 Millionen Dollar aufgebrummt. (Anmerkung 2)
Was passiert bei ähnlich betrügerischem Vorgehen durch staatliche Akteure? Wie
man sieht, nichts. Es wird nicht wahrgenommen bzw. verschwiegen.
Das Versagen der vierten Gewalt
Die meinungsführenden Hauptmedien behaupten immer noch, dass die Babyboomer-
Jahrgänge eine Kostenexplosion bei der Rentenversicherung auslösen und dass die
Jungen durch die egoistischen Alten untragbar belastet würden.
Das ist zwar einerseits eine, seit Langem durch die tatsächlichen Entwicklungen
widerlegte, völlig übertriebene Panikmache. Andererseits nimmt die Zahl der
Rentnerinnen und Rentner durch die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden
14 bis 15 Jahren zu. Und zwar konkret um etwa 17 % bis 2038 (Anmerkung 3).
Danach sinkt die Zahl wieder, so dass in ca. 25 Jahren der Mehraufwand für die
Altenversorgung gegenüber heute nur noch 14 % höher liegen würde. Im
Durchschnitt der kommenden 15 bis 25 Jahre wären die jährlichen Kostenzuwächse
in der Altersversorgung also in der Größenordnung von unter einem Prozent.
Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt wären das nicht einmal ein Promille.
Derartige Mehrbelastungen wären volkswirtschaftlich gesehen leicht zu bewältigen –
zumal der Zeithorizont ja auch auf etwa 15 Jahre begrenzt ist.
Das auszurechnen und in der Öffentlichkeit darzustellen um dann auf Basis von
Fakten eine öffentliche Debatte anzustoßen, welche Reformschritte sozialpolitisch
notwendig und ökonomisch tragfähig sein könnten, verweigert die vierte Macht im
Staat beharrlich.
Die Medien hätten auch die Aufgabe, das Betrügerische an dem Begriff
„Generationenkapital“ zu entlarven. Um im Bild zu bleiben: der Kapitalstock von 200
Milliarden sind ja zum allergrößten Teil Schulden. Und die müssen in jedem Fall
zurückgezahlt werden – und dann haben die „Generationen“ nichts mehr in ihrem
Fondstopf. Die „Generationen“ müssten sich immer wieder neu verschulden – und
wer hat den Nutzen von dieser ständigen Schuldenmacherei? Das wären die
erlesenen Banken, die eine Bieterlizenz für Staatsanleihen haben und die
Vermögenden, in deren Auftrag diese Banken deren Geld profitabel anlegen.
Einstieg in die „Jahrhundertreform“ – durch Homöopathie? Der Plan hinter
dem Plan.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Dürr, bejubelt die Einführung
des „Generationenkapitals“ als eine „Jahrhundertreform für Deutschland“.
Völlig anders sieht es die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika
Schnitzer. Sie hält die Wirkung der Reform für „homöopathisch“ (bei Maybritt Illner
am 14.3.).
Homöopathie bedeutet ja als Therapie minimalste Medikamentendosierung mit einer
großen Heilungserwartung. Absehbar bezüglich der Aktienrente – und von Schnitzer
auch so gemeint – ist Folgendes: Die nicht feststellbare Heilungswirkung wird zu
einem radikalen Therapiewandel führen. Nämlich zu einer drastischen Erhöhung der
Dosis und zwar mit einer 4 prozentigen Zwangsverbeitragung der Bruttolöhne, die
auf die Konten der Finanzkonzerne umgeleitet werden.
Das wird sich als eine Hammerdosis erweisen, die fatale Risiken und
Nebenwirkungen hat. Sie entzieht dem Wirtschaftskreislauf 70 bis 80 Mrd. € jährlich
Konsumnachfrage. Sie befeuert die Blasenbildung an den Aktienmärkten mit der
gleichen Summe, die in gut 10 Jahren bereits 1 Billion Euro ausmachen wird.
Die oben beschriebene Therapie ist die konkrete Empfehlung des
Sachverständigenrates für die Bundesregierung vom November 2023 (Federführung
hatte dabei Martin Werding, der zwei Jahre zuvor das Aktien-Rentenkonzept der FDP
geschrieben hatte – Anmerkung 4). Vermutlich hat Lindner genau das gemeint, als er
am 6. März ankündigte: „Mit dem Generationenkapital treffen wir eine
Zukunftsentscheidung, die weit über das heute geplante Volumen hinausgeht,“ und
gleich danach ein viel größeres „Generationenkapital 2.0“versprach.
Dieser Plan wird mit großer Wahrscheinlichkeit umgesetzt, sollte es nach der
nächsten Bundestagswahl zu einer Regierungskoalition der FDP mit der CDU/CSU
und dem Black Rock Kanzler Friedrich März kommen.
Und das garantierte Rentenniveau? Es sinkt – das ist gesichert.
Hubertus Heil versprach, die Sicherung des Rentenniveaus von 48 % bis zum Jahr
2039. Das klingt gut, verschleiert aber zwei fundamentale Dinge: Das Rentenniveau
ist seit 1990 schon um 13% abgestürzt. Im Besten Fall würde der Absturz also
gebremst. Korrekter ausgedrückt wäre: die Rentenkürzungen der letzten Jahrzehnte
werden zementiert.
Das ist aber auch nur die halbe Wahrheit, denn das gesicherte Rentenniveau von
48% hat den gern verschwiegenen Zusatz „netto vor Steuern“. Der
Besteuerungsanteil der Renten steigt aber ständig weiter an. Das bedeutet, dass die
netto verfügbare Rente (das tatsächliche Rentenniveau) seit 2005 ständig gesunken
ist und bis 2040 weiter sinken wird. In konkreten Zahlen: Das tatsächliche
Nettorentenniveau ist von 1990 bis heute um 15% gesunken und wird bei voller
Besteuerung der Renten ab 2040 auf etwa 20% absinken.
Das Versprechen „Sicherung des Rentenniveaus von 48 %“ erweist sich als reiner
Etikettenschwindel.
Was kostet die angebliche Sicherung des Rentenniveaus und wie wird sie
finanziert?
Auch hierzu veröffentlichte das Sozialministerium am 6. März erstmalig Zahlen. Die
Haltelinie 48 % netto vor Steuern würde bei der erwarteten Zunahme der
Rentnerzahlen bis 2036 über Beitragssteigerungen von 18,6 % auf 22,3 % finanziert.
Nach 2036 würde ein, dann stabiler, Beitragssatz von 22,6% erforderlich sein. Und
dieser Anstieg von 0,3 % ab 2036 soll durch die „Jahrhundertreform“ Aktienrente
verhindert werden. Wer die Pressekonferenz gesehen hat, konnte sehen, Lindner und
Heil wurden noch nicht einmal rot bei der Verkündung ihrer großartigen Planung.
Die ehemalige Sozialministerin Nahles hatte 2016 noch die Absicht, die
Mehrbelastungen durch die Babyboomer durch einen staatlichen
„Demografiezuschuss“ zumindest teilweise zu finanzieren. Die Ampelkoalition
betreibt das genaue Gegenteil – sie kürzt den sogenannten Bundeszuschuss
schrittweise bis 2027 um 6,8 Mrd. Euro.
Wodurch werden also die Babyboomer-Mehrbelastungen getragen? Antwort: durch
Beitragserhöhungen und eine Reduzierung des Staatsanteils – und die Aktienrente?
Sie wird, wenn die Spekulanten erfolgreich sein sollten, in weiter Ferne ein paar
Krümel beisteuern.
Fazit:
Das Rentenpaket II bringt nichts bis sehr wenig für die Versicherten. Nichts
gegen Altersarmut und nichts für auskömmliche Renten. Es bedient die
Interessen der Finanzkonzerne und eröffnet ihnen weitere profitable
Perspektiven.
Wer nach richtigen Lösungen für die Krise der Altenversorgung in
Deutschland sucht, wird sie bei den Ampelparteien nicht finden. Ein Blick
nach Österreich ist sehr hilfreich. Sehr viel höhere Renten, Mindestrenten
über der Armutsgrenze und eine Versicherung für alle. Das funktioniert da
schon lange und kann hier genauso gut funktionieren.
In der Schweiz werden über solche Fragen Volksabstimmungen durchgeführt.
Anfang März stimmten bei einer hohen Wahlbeteiligung von 59 % über 58 % für eine
13. Monatsrente und 75 % gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67
Jahre. Das könnte auch für die Demokratiedemonstranten in Deutschland vorbildlich
sein. Unter dem Motto: Mehr Demokratie wagen!
Anmerkungen
(1) Strafgesetzbuch (StGB) § 264a Kapitalanlagebetrug
„Wer im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Wertpapieren … oder von Anteilen,
die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen… in
Prospekten oder in Darstellungen … über den Vermögensstand hinsichtlich der für
die Entscheidung über den Erwerb oder die Erhöhung erheblichen Umstände
gegenüber einem größeren Kreis von Personen unrichtige vorteilhafte Angaben
macht oder nachteilige Tatsachen verschweigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
(2) Handelsblatt, 01.02.2023
(3)
https://www.seniorenaufstand.de/rentenzukunft-babyboomer-keine-kostenexplosion/
(4)
https://www.seniorenaufstand.de/der-sachverstaendigenrat-mit-radikalen-plaenen-ge
gen-jung-und-alt/