Selbstorganisiert, aber nicht selbstbestimmt
Teamarbeit und Kooperation im agilen Kapitalismus (Teil 1)

von Hermann Bueren*


24.11.2023

Hätte man den Unternehmer Henry Ford gefragt, ob seine Beschäftigten Gefühle wie Leidenschaft oder Begeisterung bei ihrer Arbeit verspüren, oder ob sie sich selbst als ein Team begreifen, hätte er vermutlich verständnislos mit dem Kopf geschüttelt. Im Grunde konnte er mit diesen Fragen wenig anfangen. In den Fabriken Fords, der 1903 in Detroit mit 8 Beschäftigten seine Autoproduktion begann und bis 1926 einen Konzern mit 88 Produktionsstätten und mehr als einer halben Millionen Beschäftigter sein Eigen nannte, arbeiteten die Beschäftigten an Fließbändern in kleinen, sich ständig wiederholenden Arbeitsschritten. Mit welchen Emotionen sie das taten, spielte für das Fließband keine Rolle. Fords Antwort lautete daher klipp und klar: „Um Hand in Hand zu arbeiten, braucht man sich nicht zu lieben.“(1) Mit dieser Haltung stand er nicht allein. Sie war bei den Unternehmern seiner Zeit weit verbreitet und charakterisierte Denken und Handeln des Managements zu dieser Zeit.

Die erzwungene Kooperation durch Technik
So frostig oder empathielos Fords Antwort in unseren Ohren auch klingt, hatte der Unternehmer, der sich nicht nur als Autokönig, sondern auch als Gewerkschaftsfeind einen Namen machte, in einem Punkt recht. In der arbeitsteiligen Produktion der Ford Motor Company spielten die emotionalen Einstellungen oder ein unter den ArbeiterInnen existierender Teamgeist tatsächlich keine oder nur eine geringfügige Rolle. Ob sie motiviert oder mit Widerwillen Gelenkwellen einbauten oder Autositze montierten, hatte auf die Geschwindigkeit des Förderbands, das die Karosserien zu ihren Arbeitsplätzen brachte, keinen Einfluss und für die gefertigte Stückzahl am Ende des Tages keine Bedeutung. Es kam einzig und allein auf die reibungslose Kooperation der Beschäftigten an. Diese wurde durch das Fließband hergestellt, eine Technik, die Ford in den Schlachthöfen in Chicago studiert und dann übernommen hatte.

Unter den Bedingungen des Fließbands wird Arbeit zu einer kurzzyklischen, sich wiederholenden Angelegenheit, mit geringen oder gar keinen Anforderungen an kommunikative und soziale Fähigkeiten der Arbeitenden. Die Beschäftigten sind isolierte Glieder einer Produktionskette, deren Verbindung mittels Technik erfolgt. Ihr Zusammenwirken ist nicht Ausdruck ihrer eigenen Aktivität, sondern Folge einer mechanischen Bewegung des Fließbands. Diese Kooperation“, schreibt der österreichische Journalist Robert Misik, „ist nicht die von wachen, kreativen Individuen, sondern eine, die aus dem „geistlosen Ineinander befohlener Handgriffe“ besteht. (2) Die Fremdartigkeit und Beziehungslosigkeit, die diese Art von Kooperation unter den Kooperierenden erzeugt, kritisierte schon Karl Marx, lange bevor an der Verwendung eines Fließbands in der kapitalistischen Arbeitsorganisation gedacht wurde. „Die Kooperation der Lohnarbeiter“, schrieb er, „ist bloße Wirkung des Kapitals, das sie gleichzeitig anwendet. (...) Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt (den Arbeitern) deshalb ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft“.(3)

Würde der Autokönig heute noch leben, wäre er möglicherweise noch immer ein Gewerkschaftshasser. Aber auf die Frage nach den Emotionen und Einstellungen seiner Beschäftigten würde er anders antworten. Denn heutige Unternehmen und das in ihnen tätige Management zeigen großes Interesse an den emotionalen Einstellungen ihrer Beschäftigten, sehen sie doch darin einen wichtigen Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Wer, so lautet die Botschaft in den Meetings, Mitarbeitergesprächen und Teamsitzungen, an seine Arbeit mit positiven Gefühlen herangehe, wer sich leidenschaftlich für seine Ziele ins Zeug lege, oder das eigene Team mit seiner Begeisterung anstecke, könne wesentlich mehr leisten und erfolgreicher sein als Beschäftigte, die einen emotionalen Abstand zu ihrer Arbeit wahren.

Das agile Team: Eine neue Kooperationsform
Tatsächlich hat sich auch der Stellenwert der Kooperation im Diskurs des Managements verändert. Aus der technisch - mechanischen Kooperation mit ihrer Monotonie der geistlosen Handgriffe sind inzwischen anspruchsvolle Gebilde geworden, in denen das Management die Zusammenarbeit der Beschäftigten organisiert. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang Projektteams oder sogenannte agile Teams mit sehr eigentümlichen Bezeichnungen. In bestimmten Branchen wie in der IT-Industrie firmieren sie unter Scrum (engl. für „Gedränge“), ein aus dem Rugbysport stammender Begriff. Bei Spotify heißen die Gebilde „Squads“ – in Anlehnung an eine in den US-Streitkräften übliche Bezeichnung für eine Teileinheit von Soldaten. Bei der Commerzbank werden „Cells“ mit ca. 10 MitarbeiterInnen gebildet, gebündelt in größeren Einheiten, die wiederum Cluster heißen und 80 – 120 Beschäftigte umfassen.

Diese unterschiedlichen Bezeichnungen für Teamstrukturen sind keine Wortspielereien oder sprachliche Spitzfindigkeiten. Mit der schlichten, technisch geprägten Zusammenarbeit in den Ford-Werken haben diese neuen Formen fast nichts mehr gemeinsam, außer dass man sie auch als Kooperation bezeichnen kann. Die unterschiedlichen Bezeichnungen deuten bereits an, dass sich die Erwartungen an die im Team Arbeitenden und die Anforderungen an teamartige Strukturen in der kapitalistischen Arbeitsorganisation grundlegend gewandelt haben und sich ständig weiterentwickeln. Wer Teams nach militärischen Bezeichnungen benennt oder Begriffe aus dem Sport entlehnt, will schon mit der Namensgebung Eigenschaften wie Kampfkraft, Geschlossenheit und den Einsatzwillen als Merkmale dieser Teamarbeit herausstellen In ihrer gegenwärtigen Form (und in der Begrifflichkeit des Managements formuliert) läuft diese Teamarbeit auf eine Mobilisierung der menschlichen Ressourcen für den Unternehmenserfolg hinaus.

Laut Wörterbuch bezeichnet das Wort agil Eigenschaften wie „von großer Beweglichkeit zeugend“, „regsam“ und „wendig.“ Entstanden ist diese Begeisterung über Agilität Anfang der 2000er Jahre in einigen IT-Unternehmen. Zu dieser Zeit herrschte unter Projektleitern und Beschäftigten dieser Branche eine starke Unzufriedenheit über die übliche Organisation der Arbeit. Kritisiert wurden Faktoren, die einerseits das Arbeiten in Projekten krisenanfällig und belastend machen, andererseits aber geradezu charakteristisch für diese Arbeitsform sind: Ausufernde Arbeitszeiten, Teamkonflikte, fehlende Personalressourcen, Überschreiten des vereinbarten Budgets oder der mit den Kunden vereinbarten „Deadline“. Das führte häufig dazu, dass Projektziele nicht oder nur teilweise erreicht wurden oder gänzlich scheiterten. Die Unzufriedenheit über diese Arbeitsform veranlasste auch Unternehmensleitungen und Management aus der IT-Branche nach Verbesserungsmöglichkeiten in der Arbeitsweise von Projekten zu suchen. Diese Suche nach Verbesserungen führte Anfang der 2000er Jahre zu einem neuen Modus der Kooperation, der auf eine Reorganisation bzw. Neugestaltung der team- und projektförmigen Arbeitsformen in dieser Branche hinauslief. Zu den wichtigsten Merkmalen dieser agilen Teamarbeit gehören:

• kleine, selbstorganisierte Teams, die eigenverantwortlich und möglichst kunden- bzw. patientennah arbeiten sollen,
• der Abbau bzw. die Abschwächung hierarchischer Strukturen durch geteilte Verantwortung und gemeinsam getroffene Entscheidungen aller Mitglieder im Team,
• kurze Projektzyklen und Arbeitsschritte in überschaubaren Zeiträumen, die zudem transparent für alle kommuniziert werden sollen,
• der Einsatz digitaler oder visueller Techniken (Kanban-Boards, Übersichtstafeln) für die Bearbeitung von Teamaufgaben, Verwendung von spielerischen Techniken (z.b. Planning Poker, Brainstorming) und didaktischer Materialien in den Teammeetings,
• regelmäßige Besprechungen des Teams zur Klärung arbeitsorganisatorischer Probleme und zur Reflexion der geleisteten Arbeit,
• die Offenlegung der eigenen Arbeitsweisen gegenüber dem Team und Bereitschaft zu regelmäßigem, offenem Feedback in Hinblick auf Arbeitsleistung und Verhalten.

Keines dieser Merkmale ist wirklich neu. In manchen Einrichtungen der Altenpflege und Behindertenhilfe ist das selbstorganisierte Schreiben von Dienstplänen durch Teams eine von den Vorgesetzten geduldete und seit Jahren „bewährte“ Praxis. Und manche Methoden zur Vermeidung zeitraubender Meetings oder ausufernder Besprechungen wurden und werden mittlerweile in vielen Unternehmen ebenso alltäglich verwendet wie der Einsatz von Techniken der Visualisierung. Neu und über die IT-Branche hinausweisend ist hingegen die Bündelung dieser Merkmale in eine Managementmethode, mit der Unternehmen systematisch auf das Arbeitsvermögen ihrer Beschäftigten zugreifen. Bestimmte Eigenschaften der Arbeiter und Arbeiterinnen, wie z.B. kommunikatives Geschick, Reflexionsvermögen und emotionale Kompetenzen, die in der Arbeitsorganisation des Henry Ford unerwünscht waren oder unbeachtet blieben, sollten nun systematischer in den Arbeitsprozess eingebunden und für den Verwertungsprozess genutzt werden.

Was im Management euphemistisch als Entfaltung von Humanressourcen bezeichnet wird, ist im Grunde ein Akt der Formung von Subjekten, an deren Ende eine Unterwerfung im Sinne einer passgenauen Eingliederung der Menschen in den Arbeitsprozess stehen soll.


Karl Marx bezeichnet diese Mobilisierung des Arbeitsvermögens als reelle Subsumtion (zu dt.: Unterwerfung). Er unterscheidet zwei Formen der Unterwerfung. Mit Aufnahme ihrer Lohnarbeit geraten die Arbeiter und Arbeiterinnen zunächst rein formal unter die Zwänge des Kapitalverhältnisses. Sie werden in das Unternehmen juristisch und organisatorisch eingegliedert und akzeptieren die Regelungen und Ordnungen des Arbeitsprozesses. Erst in einem zweiten Schritt werden die formal Eingegliederten durch die Mobilisierung ihres Arbeitsvermögens auch reell unterworfen. Erst durch diesen Akt, schreibt er weiter, bemächtige sich das Kapital „unmittelbar des Arbeitsprozesses.“ Den Begriff der Unterwerfung hat Marx nicht grundlos gewählt. Denn was im Management euphemistisch als Entfaltung von Humanressourcen bezeichnet wird, ist im Grunde ein Akt der Formung von Subjekten, an deren Ende eine Unterwerfung im Sinne einer passgenauen Eingliederung der Menschen in den Arbeitsprozess stehen soll. Die Kooperation der Beschäftigten wird dadurch auf eine neue Stufe gestellt. Ist es in den Autofabriken zur Zeiten Henry Fords das mechanisch betriebene Fließband, das die Kooperation der Beschäftigten regelrecht erzwingt, so sollen es in Zeiten der Agilität die Beschäftigten selbst sein, die in den Teams und Projekten ihre eigene Kooperation erzeugen und den Arbeitsprozess organisieren. Aus dem Ineinandergreifen vieler einzelner Handgriffe zur Fabrikation eines Produktes soll eine Kooperation entstehen, in der die Beschäftigten das eigene Arbeitsfeld selbst organisieren sollen und zur Übernahme von Verantwortung aufgefordert sind.

Diese Anstrengungen zur Reorganisation der Teamarbeit, die der spezifischen Situation in der IT-Branche geschuldet waren, haben sich mittlerweile unter den Stichworten „Agile Arbeit“ oder „agiles Management“ verselbständigt. Agil gearbeitet wird inzwischen nicht nur in Banken, Versicherungen oder in der Industrie. Auch große Kliniken, wie das Uniklinikum in Heidelberg, bezeichnen sich als „agiles Krankenhaus“ (4) und in Einrichtungen der Altenpflege laufen Pilotprojekte zur Einführung agiler Arbeitsweisen, die vom Bundesministerium für Wirtschaft gefördert werden. (5)

Die Arbeitsweise des Teams
Damit ist bereits angedeutet, dass den Beschäftigten und die in den Unternehmen praktizierten agilen Teams in diesem Konzept eine bedeutende Rolle zugedacht ist. Durch Übertragung von Verantwortung sollen Beschäftigte eigen- und selbstverantwortlich agieren und sich als selbstständige Akteure im Streben nach vereinbarten Zielen, Kunden- und Terminvorgaben begreifen. Wie die Arbeit eines Teams unter diesen Vorzeichen aussehen kann, zeigen zwei Beispiele aus unterschiedlichen Branchen:

Beispiel IT-Industrie
Unter den agilen Methoden gilt Scrum als eine profilierte und in der IT-Branche sehr verbreitete Arbeitsform. Ein Scrum-Team besteht in der Regel aus 5 bis10 Software-Entwicklern. Aus einem Aufgabenkatalog wählt das Team Ziele aus, die innerhalb des nächsten Arbeitsschritts („Sprint“) erreicht sein müssen. Den Umfang und den Bedarf an Arbeitszeit für den nächsten Arbeitsschritt legt das Team selbst fest.

Am Ende des Sprints sollen alle Mitglieder ein Teilergebnis vorlegen. Danach werden die Ergebnisse untereinander präsentiert und die nächsten Ziele im Scrum-Team formuliert. Während des Sprints erfolgt eine tägliche Kurzbesprechung („Daily-Stand Up“) im Stehen, bei der jedes Teammitglied seine Arbeitsweise offenlegt und in zwei Minuten drei Fragen beantwortet: „Wie bin ich gestern mit der Arbeit vorangekommen? Woran werde ich heute arbeiten? Welche Hindernisse stehen mir dabei eventuell im Weg?“ Durch die so geschaffene Transparenz kann sich ein jeder/e über die geleistete Arbeit der anderen Teammitglieder ein Bild machen. Jeder Arbeitsschritt kann im Detail verfolgt werden: „Wer ist wann online? Wer hat wann welche Zeile Code geschrieben, welche Aufgaben gestartet, erledigt, zurückgewiesen?“ (6)

Beispiel Altenpflege
Das niederländische Unternehmen Buurtzorg (dt.: Nachbarschaftspflege) ist das bekannteste Beispiel für agiles Arbeit in der Altenpflege. In diesem Unternehmen, das einen Anteil von 20% des niederländischen Marktes der ambulanten Altenpflege hält, arbeiten zurzeit ca. 14.000 Beschäftigte.(7) Die Teams in diesem Unternehmen bestehen aus etwa zehn Personen. Es gibt keine unmittelbaren Vorgesetzten, nur in besonders schwierigen Fällen können sich die Teams an höhere Vorgesetzte wenden. Ein Großteil der Aufgaben, die im Unternehmen zu leisten sind, werden von den Teammitgliedern übernommen. Neben der eigentlichen Pflege gehören dazu auch Aufgaben, die in anderen Pflegeeinrichtungen üblicherweise spezifischen Abteilungen oder der Einrichtungsleitung zugeordnet sind: Die Aufnahme neuer Patienten, die Urlaubs- und Dienstplanung, die Verwaltung und Dokumentation von Patienteninformationen, Neueinstellungen von Personal oder die Zusammenarbeit mit sozialen Trägern und Sozialeinrichtungen. Hohe Priorität in den Besprechungen der Buurtzorg-Teams hat der Effizienzgedanke. Nicht der Austausch über Arbeitsprobleme oder die ausführliche Diskussion eines bestimmten Themas stehen hier im Vordergrund, sondern die rasche Entscheidungsfindung über Sachverhalte. Leistungsbewertungen machen die Beschäftigten eines Teams untereinander. Dies geschieht in Form von Feedback in Teambesprechungen oder in Beurteilungsgesprächen am Jahresende. Werden Beschäftigte neu eingestellt, erfolgen Bewerbungsgespräch und Einstellung durch die zukünftigen Teamkollegen.

Selbstbestimmte Arbeit
Agile Teams können also über Zuständigkeiten und Funktionen verfügen, die über die in den meisten Unternehmen und Einrichtungen bisher üblichen Formen der Teamarbeit weit hinausgehen. Zahlreiche Aufgaben, die in der Regel zu den Kernaufgaben des Managements oder der Vorgesetzten zählen. verlagern sich auf das Team. Hier das Team, das über das Arbeitstempo selbstständig Entscheidungen treffen, dort das Team, das sogar Personal selbst einstellen oder kündigen kann. Selbstorganisation wird damit zur zentralen Anforderung an die Mitglieder eines agilen Teams und zum charakteristischen Merkmal dieser Kooperation.

Arbeit als Ausdruck von Selbstorganisation und Selbstbestimmung
Was genau aber meint der Begriff Selbstorganisation? Was verstehen wir als Beschäftigte darunter und welche Vorstellungen hat das Management von einer Selbstorganisation? Tatsächlich handelt es sich bei Selbstorganisation nicht um einen neutralen Begriff, sondern im Grunde um ein Konzept von Arbeit, dem diametral unterschiedliche Vorstellungen über die Art und Weise der Zusammenarbeit von Menschen zu Grunde liegen.

Sich selbst zu organisieren, seine Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen ist ein elementares Bedürfnis und Ausdruck unseres Wunsches nach einer selbstbestimmten und sinnvollen Tätigkeit. Selbstbestimmt und selbstorganisiert zu arbeiten, sind zwei Seiten einer Medaille und Ausdruck unseres Verständnisses von einer „guten“ Arbeit.


Sich selbst zu organisieren, seine Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen ist ein elementares Bedürfnis und Ausdruck unseres Wunsches nach einer selbstbestimmten und sinnvollen Tätigkeit. Selbstbestimmt und selbstorganisiert zu arbeiten, sind zwei Seiten einer Medaille und Ausdruck unseres Verständnisses von einer „guten“ Arbeit. Als Altenpflegerin wollen wir unsere Arbeit so organisieren und durchführen, wie es unserem Verständnis nach für eine menschenwürdige Pflege angemessen ist. Als Mitglied eines Scrum-Teams wollen wir dem Kunden ein qualitativ wertvolles Softwareprodukt übergeben, das unseren eigenen Ansprüchen an fachgerechter, „sauberer“ Arbeit gerecht wird. Und die Erzieherinnen in einer Kita verstehen ihre Aufgabe nicht als Betreuungsleistung, sondern auch als Auftrag zur Vermittlung von Bildungserfahrungen an Kinder im Vorschulalter. In unserer Vorstellung von einer selbstorganisierten Arbeit ist also das Element der Selbstbestimmung eingeschlossen, denn nur durch ein selbstbestimmtes Arbeiten können wir unseren eigenen Wünschen und Bedürfnissen nach einer sinnhaften, uns ausfüllenden Arbeit nachgehen.

Gemeinsam arbeiten und sich gegenseitig unterstützen - das ist das, was wir mit einer „guten“ Teamarbeit verbinden. Wenngleich auch versteckt, enthält diese Vorstellung einen emanzipatorischen Gedanken: Eine Arbeit ohne Hierarchie und Bevormundung unter gleichberechtigten und für einander einstehende Menschen, die über alle Angelegenheiten ihrer Arbeit selbst entscheiden.


Diese beiden Aspekte von Autonomie in unserer Vorstellung von einer „guten“ Arbeit verbinden wir auch mit dem Gedanken an die Zusammenarbeit mit den KollegInnen des Teams, dem wir angehören oder angehören wollen. In „unserem “ Team wünschen wir uns Menschen, die alle an einem Strang ziehen und die durch gemeinsame Arbeit eine Verbesserung der Arbeitssituation für jedes Teammitglied herstellen. Im Sinne einer Kooperation ist der Begriff Ausdruck der Sehnsucht vieler Menschen nach einer gemeinschaftlichen Arbeit, in der jeder/e seine/ihre Fähigkeiten einbringen kann und alle zusammen einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit nachgehen oder eine Dienstleitung erbringen. Gemeinsam arbeiten und sich gegenseitig unterstützen - das ist das, was wir mit einer „guten“ Teamarbeit verbinden. Wenngleich auch versteckt, enthält diese Vorstellung einen emanzipatorischen Gedanken: Eine Arbeit ohne Hierarchie und Bevormundung unter gleichberechtigten und für einander einstehende Menschen, die über alle Angelegenheiten ihrer Arbeit selbst entscheiden.

In der gewerkschaftlichen Debatte spielt die Forderung nach einer selbstbestimmten und-organisierten Arbeit so gut wie keine Rolle. Gefordert wird vordringlich eine Mitbestimmung der Beschäftigten zur Demokratisierung arbeitsweltlicher Verhältnisse. Im Unterschied dazu haben sich manche Debatten im Spektrum der gesellschaftlichen Linken immer wieder in unterschiedlicher Form mit den Möglichkeiten einer Selbstbestimmung der Beschäftigten als Gegenentwurf zur hierarchischen Arbeitsorganisation des Kapitalismus beschäftigt. In der Nachkriegszeit beeinflusste das „Modell“ einer Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien diese Diskussionen. Später, in den 1960iger Jahren, waren es die zahlreichen Betriebskämpfe von Beschäftigten in Westeuropa, die der Diskussion Auftrieb gaben. In Frankreich entstand das Konzept der Selbstverwaltung (Autogestion), demzufolge die Beschäftigten selbst den Arbeitsprozess kontrollieren wollten und das Management des Unternehmens entmachtet werden sollte. Diese Selbstverwaltung wurde von manchen Wissenschaftlern und Intellektuellen dieser Zeit als Autonomie bezeichnet. Leitidee dieser Autonomie ist ein Unternehmen, in dem die Beschäftigten selbst über alle Angelegenheiten demokratisch entscheiden. In jüngster Zeit hat Axel Honneth, ehemaliger Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, diesen Gedanken aufgegriffen. In seinem Buch mit dem bemerkenswerten Titel Der arbeitende Souverän plädiert er für „[die] Schaffung von selbstverwalteten Produktionsgenossenschaften, die den Sinn der Arbeitenden für gemeinsame Verantwortung und Kooperation stärken und der Verengung von Berufs- und Tätigkeitsfeldern wie sie unter dem Neoliberalismus herrschen, entgegenwirken…“ (8)

Selbstorganisierte Arbeit ohne Selbstbestimmung
Der Selbstorganisationsbegriff im Leitbild des agilen Unternehmens hat dagegen einen völlig anderen Hintergrund, denn er bezieht sich auf systemtheoretische und biologische Erkenntnisse. Hier gilt Selbstorganisation als erklärendes Prinzip, das aus scheinbar chaotischen Bewegungen durch eine innere Dynamik eine Ordnung herstellt. Managementdiskurse begannen schon vor geraumer Zeit sich mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit Teams in Unternehmen sich vollkommen selbst und im Sinne des Unternehmens steuern können. „Die Selbstorganisationstheorien sind für das Kapital interessant, weil sie die Antwort auf die Frage versprechen, wie ganze Individuen und nicht mehr nur deren Detailfunktionen in den Verwertungsprozess hineingezogen werden können, während für alle bisherigen Herrschaftsformen die gewaltsame Reduktion der Individuen auf Detailfunktionen wesentlich war,“ schrieb der Philosoph Klaus Peters bereits Mitte der 1990iger Jahre.(9) Geht es nach den Vorstellungen des Managements, soll ein agiles Team sich Verhaltensweisen und Eigenschaften aneignen, die vergleichbar mit selbst organisierten Bewegungen sind, wie sie Biologen bei bestimmten Tierarten beobachten. Mit Begriffen wie Schwarmfähigkeit und „Schwarmintelligenz“ bezeichnet diese Wissenschaft Leistungen und Verhaltenseigenschaften von Großgruppen wie beispielsweise einen Vogelschwarm, der eine einheitliche Flugbewegung ausführt oder das Verhalten von Makrelenschwärme, die eine Kugelform zur Abwehr von Robben bilden. Die Schwärme funktionieren von selbst und vollziehen ihre einheitliche Bewegung ohne Kommando oder Führung.

Im agilen Team soll dieses Prinzip dazu führen, dass die Mitglieder durch kurze Informationsketten, gezielte Interaktion und unter Ausschaltung betrieblicher Hierarchien schneller und effizienter auf den Markt oder den Kunden/Patienten reagieren. Diese Form der Selbstorganisation hat mit Autonomie nichts zu tun, sondern versteht darunter die (selbst vorgenommene) Anpassung der Teammitglieder an äußere Bedingungen.


Im agilen Team soll dieses Prinzip dazu führen, dass die Mitglieder durch kurze Informationsketten, gezielte Interaktion und unter Ausschaltung betrieblicher Hierarchien schneller und effizienter auf den Markt oder den Kunden/Patienten reagieren. Diese Form der Selbstorganisation hat mit Autonomie nichts zu tun, sondern versteht darunter die (selbst vorgenommene) Anpassung der Teammitglieder an äußere Bedingungen. In der IT-Branche sollen sie sich „den Anforderungen der Digitalökonomie“ gewachsen zeigen. (10) In der Altenpflege gelten agile Teams als „innovative Lösungsansätze für den Fachkräftemangel in der Pflege“.(11) In Krankenhäusern sollen sie sich den Problemen stellen, die durch „hohe Fluktuations- oder Krankheitsraten der Beschäftigten“ entstehen.(12) Agile Teams, so der Eindruck, der sich beim Lesen der Webseiten zahlreicher Unternehmensberatungen und Blogs der agilen Community (13) einstellt, dienen als eine Art Allzweckwaffe in den Händen von Management und Unternehmensleitungen zur Lösung hausgemachter oder branchenspezifischer Problemlagen. Unter der Selbstorganisation wird dabei die Fähigkeit der Beschäftigten verstanden, spontan, wendig und schnell, also genau so, wie es das Wort agil meint, auf scheinbar unvorhersehbare Arbeitsereignisse zu reagieren oder, wie im Fall des Scrum-Teams, sich den angeblich nicht veränderbaren Marktbedingungen anzupassen.

Das agile Leitbild und seine ideologische Verklärung
Dem Management ist durchaus klar, dass dieses Verständnis von Selbstorganisation ohne Selbstbestimmung nur gelingen kann, wenn die Beschäftigten „mitspielen.“ Daher werden diese aufgefordert, sich selbst zu verändern. „Empowerment“ ist das im Managementsprech dafür verwendete Zauberwort. „Empowerment“ (dt.: Selbstermächtigung) soll die Beschäftigten in die Lage versetzen, ihre Arbeitsanforderungen zu schätzen, die notwendigen Tools und Techniken auszuwählen und sich selbst zu mobilisieren. Das Ermächtigen zielt nicht auf die Überwindung von Machtstrukturen, sondern versteht sich als eine Ressource, eine (innere) Kraft, die der einzelne Beschäftigte in sich entdecken und aktivieren soll, wenn er Mitglied eines Teams ist oder werden möchte. Der ideologischen Verkörperung dieser Aufforderung zur Selbstveränderung dient das Leitbild des agil denkenden und handelnden Menschen, der auf ständige Veränderungen in den Arbeitsabläufen eingestellt und bereit ist, immer in Bewegung und mobil zu sein. Erwartet wird von diesem Menschen, dass er die zahlreichen Konflikte und Widrigkeiten, die in der täglichen Arbeit unvermeidlich auftauchen, (z.B. fehlende KollegInnen, schlechte Marktsituation, hohe Arbeitsintensität, Teamkonflikte) als gegeben und nicht veränderbar akzeptiert. Er soll über Resilienz verfügen, also sich selbst Widerstandskräfte aneignen und eigenständig nach Lösungen suchen, die eigene Arbeit unter diesen Bedingungen zu leisten und sich im Team einzubringen. Geradezu euphorisch beschreibt die Webseite einer auf den Finanz- und IT-Sektor spezialisierten Unternehmensberatung dieses Leitbild: „Der agile Mitarbeiter hat Spaß daran, interdisziplinär und in engem Austausch mit Kollegen zusammenzuarbeiten, er braucht dabei keine enge Führung und ist motiviert eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu arbeiten. Er bringt sich gerne ein, ist interessiert, neugierig und schätzt die kreativen Entfaltungsmöglichkeiten von flexiblen Netzwerken. Er versprüht Unternehmergeist.“(14)

Die schönen Worte dieses Leitbilds verschleiern, dass genau dieses elementare Bedürfnis nach selbstbestimmter Arbeit in der kapitalistischen Arbeitsorganisation massiven Einschränkungen unterliegt. Denn es sind Management und Unternehmensleitungen, die auf der Grundlage von Zielfestlegungen, internen Maßnahmen des Controllings und der Personalplanung die Rahmenbedingungen für die agilen Teams festlegen. Je knapper Personalstunden- und Betreuungsschlüssel in den Teams berechnet sind, je weniger für langzeiterkrankte KollegInnen ein Ausgleich geschaffen wird, je enger das Zeitkorsett für ein Softwareteam ist, desto kleiner wird der selbstbestimmbare Aktionsradius agiler Teamarbeit. Genauer: Die Beschäftigten sollen sich selbst organisieren, sie dürfen selbstständig sein ohne aber über Selbstbestimmung zu verfügen!

Krisen strukturieren die Teamarbeit
Die Selbstorganisation des Teams reduziert sich unter diesen Bedingungen häufig auf das „kreative“ Bewältigen von Krisensituationen unterschiedlicher Art. Die Verhältnisse werden dadurch gleichsam auf den Kopf gestellt. Nicht das Team organisiert in eigenem Ermessen die gemeinsame Arbeit, sondern die Krisen und Sachzwänge strukturieren die Arbeit des Teams- und bestimmen die Tagesordnungen der Sitzungen oder die Themenwahl der Meetings. Teams aus Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens beschäftigen sich dann vornehmlich mit der Frage, wie sich trotz fehlenden Personals der Normalbetrieb wie gewohnt aufrechterhalten lässt oder wie auf neue, nicht eingeplante Anforderungen von außen (z.B. Dokumentationspflichten) reagiert werden kann. In den Scrum-Teams sind es die plötzlich auftauchenden Schwierigkeiten (technischer Natur) oder unvorhersehbare Ereignisse, die zu klären sind, will man nicht in Gefahr geraten, den mit dem Kunden fest vereinbarte Endtermin zur Fertigstellung einer Software „platzen“ zu lassen. Diese Art von selbstorganisierte Krisenintervention, die inzwischen in einigen Unternehmen unter dem beschönigenden Begriff „Ausfallmanagement“ läuft, wird zur wichtigsten Aufgabe des Teams.

Den Beschäftigten bleibt in dieser Situation nichts anderes übrig, als ihren Wunsch nach einer selbstbestimmten Arbeit zurücknehmen. Sie machen die Erfahrung, dass ihr eigenes Sinnverständnis von einer wertvollen Arbeit und das, was der Arbeitsalltag von ihnen einfordert, zwei unterschiedliche Dinge sind. Ihr berufliches Verständnis gerät in dieser Situation in Widerspruch zu den Interessen ihres Unternehmens oder den Anforderungen ihrer Einrichtung. Sind es in Industrie und Privatwirtschaft die Profitinteressen und die Konkurrenzbedingungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft, so sind es im Bildungsbereich oder im Gesundheits- und Sozialwesen die fehlenden finanziellen und personellen Spielräume, die ein selbstbestimmtes Arbeiten zu einem frommen Wunsch werden lassen. „Es gibt einfach viel zu wenig therapeutische Angebote für Kinder und Jugendliche“, beschreibt eine Betriebsrätin die Situation einer Berliner Kinder- und Jugendambulanz, in der die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zwar viel Spaß mache, aber die Rahmenbedingungen nicht ausgeblendet werden können. „Das setzt uns unter Druck, weil wir immer ewig-lange Wartelisten haben und man im Akkord arbeitet und nur noch das arbeitet, was abgerechnet werden kann.“(15)

Reaktionen der Beschäftigten
Wenn Druck zum bestimmenden Merkmal und Krisensituationen zum täglichen Normalfall der Arbeit werden, leidet nicht nur das gesamte Team (siehe Teil 2). Auch das eigene Verständnis von einer guten, sinnvollen Arbeit erleidet Schiffbruch. Die Beschäftigte spüren, dass sie ihrem eigenen Anspruch an Qualität nicht gerecht werden können und ihre Arbeit sie in Situationen bringt, gegen ihr eigenes Verständnis von „guter“, sinnvoller Arbeit verstoßen zu müssen. Laut Daten des DGB-Index, einer kontinuierlich durchgeführten Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, geben 60 Prozent der Krankenpflegekräfte an, sehr häufig oder oft Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen zu müssen. In der Altenpflege sind es knapp 40 Prozent. (16)

Nicht wenige Beschäftigte ziehen sich zurück, steigen innerlich aus oder flüchten in die Teilzeit. Viele ziehen ihre eigenen Ansprüche an eine gute Arbeit in Zweifel. Sie werfen sich selbst vor, Flausen im Kopf zu haben oder eigenen Illusionen hinterherzulaufen und damit gewissermaßen „selbst schuld“ zu sein. Dieses „Selbst schuld sein“ ist die Kehrseite der neoliberalen Ideologie, wonach jeder seines Glückes Schmied ist.


Solche Ergebnisse offenbaren nicht nur die Ernüchterung, die Beschäftigte befällt, wenn sie ihre eigene Arbeit beurteilen. Sie verraten auch, welche Zerrissenheit diese verspüren, wenn sie eine Arbeit verrichten, die nicht dem entspricht, was sie können und wollen und dem, was von ihnen alltäglich verlangt wird. Dass es die Rahmenbedingungen der kapitalistischen Arbeitsorganisation und die Rentabilitätsinteressen der Unternehmen sind, die eine fachlich „saubere“ und selbstbestimmte Arbeit nach ihren eigenen Maßstäben verhindern, erkennen mittlerweile viele von ihnen. Aber sie ziehen daraus unterschiedliche, häufig individuelle Schlussfolgerungen. Nicht wenige Beschäftigte ziehen sich zurück, steigen innerlich aus oder flüchten in die Teilzeit. Viele ziehen ihre eigenen Ansprüche an eine gute Arbeit in Zweifel. Sie werfen sich selbst vor, Flausen im Kopf zu haben oder eigenen Illusionen hinterherzulaufen und damit gewissermaßen „selbst schuld“ zu sein. Dieses „Selbst schuld sein“ ist die Kehrseite der neoliberalen Ideologie, wonach jeder seines Glückes Schmied ist.

Andere halten fest an ihrem Wunsch nach einer selbstbestimmten Arbeit, die auch ihren qualitativen Ansprüchen gerecht wird. Manchen ist dieser Anspruch so wichtig, dass sie überlegen den Beruf zu wechseln oder das eigene Arbeitsfeld gänzlich zu verlassen, auch wenn sie dabei unter Umständen Nachteile in Kauf nehmen müssen. Als in ihrer Gruppe mit 20 Kindern weitere 6 Kinder unter drei Jahren bei unverändertem Personalschlüssel aufgenommen werden sollten, war das für eine Erzieherin „der Moment, in dem ich meine Entscheidung getroffen habe“, den Beruf aufzugeben und sich trotz niedrigerem Einkommen eine andere Arbeit zu suchen. „Mir wurde klar: Das kann ich so emotional nicht mehr mittragen und das will ich auch nicht mehr bedienen. Mit pädagogischer Arbeit hat das (…) nichts mehr zu tun. Wir betreuen und versorgen nur noch, kompensieren und verwalten Mängel.“(17)

Eine große Gruppe von Beschäftigten wendet sich nicht ab, sondern engagiert sich gemeinsam mit Betriebsräten und Gewerkschaften innerhalb des Betriebes für eine Arbeit, die den Ansprüchen der Beschäftigten gerecht wird. Viele Teams tun dies aus einem gesunden Eigeninteresse. Dabei lassen sie sich von eine Maxime leiten, die eine Betriebsrätin so formuliert: „Nur wenn wir für uns selbst sorgen, können wir gut für andere da sein.“ Getreu dieser Devise handeln sie. Scrum-Teams fordern von ihrem Unternehmen ein „nachhaltiges“ (engl.: sustinable) Arbeitstempo ein und achten untereinander auf die Einhaltung eines gemäßigten Leistungsniveaus, damit ausreichend Zeit für die einzelnen Arbeitsschritte zur Verfügung steht. Kindergarten-Teams verbünden sich mit Elterninitiativen und fordern von der Landesregierung eine verbesserte Finanzierung und eine Erhöhung des Betreuungsschlüssels. Und gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte in der Altenpflege, die die übliche Minutenpflegepraxis in ihrem Arbeitsalltag leid sind, arbeiten an einem Konzept für eine menschenzentrierte Pflege mit größeren Zeitanteilen für Berührung, Zuwendung und dem Gespräch mit den PatientInnen. (18) kleine Schritte in Richtung einer selbstbestimmten Arbeitspraxis, in der Beschäftigte beginnen selbst über die Angelegenheiten ihres Arbeitsfeldes zu entscheiden.

Hier gehts zum 2. Teil

Dieser zweiteilige Beitrag von Hermann Bueren erschien - in einer leicht gekürzten Fassung - bereits in der Jungen Welt vom 6.10. und 9.10.2023

Anmerkungen
(1) G. Mikl-Horke: Industrie- und Arbeitssoziologie, 4. Auflage, München, Wien 1997, S.62
(2) https://www.deutschlandfunk.de/re-das-kapital-6-6-kooperation-als-quelle-des-reichtums-100.html (20.8.2023)
(3) ebenda
(4) https://www.kma-online.de/aktuelles/pflege/detail/auf-dem-weg-in-agile-pflegestrukturen-49198
(5) https://www.agiwep.de/studie (20.4.2023)
(6) Timo Daum: Das Agilitäts-Dispositiv. Die Coder-Klasse zwischen Selbstermächtigung und digitalem Taylorismus, in: Berliner Debatte Initial, Heft 3/2021, S.35
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Buurtzorg (20.4.2023)
(8) https://gegenblende.dgb.de/++co++e495216e-e4e0-11ed-9cde-001a4a160123
(9) W. Glißmann, K. Peters: Mehr Druck durch mehr Freiheit. Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxen Folgen, Hamburg 2001, S.166
(10) https://www.business-wissen.de/artikel/agile-teamarbeit-wie-gelingt-die-selbstorganisation-von-teams/
(11) https://www.kma-online.de/aktuelles/pflege/detail/auf-dem-weg-in-agile-pflegestrukturen-49198
(12) https://www.aerzteblatt.de/archiv/219451/Agiles-Lean-Hospital-Management-Die-Belegschaft-befaehigen
(13) Unter agiler Community verstehe ich das Netzwerk von Selbstbeschreibungen von Firmen, Inforportalen und Unternehmensberatungen, die sich mit dem Thema Agil befassen.
(14) https://peopletobusiness.de/personalmanagement-zeiten-des-stetigen-wandels/ (28.4.2023)
(15) ver.di Innovation und gute Arbeit: Arbeitsintensität — Perspektiven, Einschätzungen, Positionen aus gewerkschaftlicher Sicht, ohne Jahresangabe, S.59
(16) https://www.dgb.de/schwerpunkt/pflege/++co++90f1dc28-efcb-11ed-885c-001a4a160123 (25.7. 2023)
(17) „Eine Erzieherin erklärt ihre Kündigung“ in: Neue Westfälische, 28.12.2022
(18) Vgl.: https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/themen/ganzheitliche-pflege



*Hermann Bueren

Arbeits- und Industriesoziologe, langjähriger Mitarbeiter und Geschäftsführer bei "Arbeit und Leben DGB/VHS im Kreis Herford e.V." zahlreiche Veröffentlichungen

Hermann Bueren ist Autor des Buchs: „Bewegt Euch Schneller!“ Zur Kritik moderner Managementmethoden. Ein Handbuch, 300 Seiten, Kellner Verlag Bremen

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