China und der Westen


Ein Interview mit Prof. Dr. Wolfram Elsner *, Makroökonom an der Universität Bremen

von Sönke Hundt*

Wolfram Elsner, der gerade im PapyRossa-Verlag sein drittes Buch über China geschrieben hat ("China und der Westen - Aufstiege und Abstiege") ist ganz entschieden der Meinung, dass die USA sich ökonomisch längst gegenüber dem Globalen Süden auf dem absteigenden Ast befinden. Um so aggressiver verteidigen sie politisch und militärisch ihre hegemoniale Stellung in der Welt. Innerhalb der westlichen kapitalistischen Länder haben die USA allerdings Punkte gemacht: Deutschland und Europa kaufen ihr dreckiges LNG-Gas zu horrenden Preisen, ihre Rüstungsindustrie und ihre Finanzindustrie laufen auf Hochtouren, der Dollarkurs steigt und sie locken mit Milliardensummen wieder Produktion ins Land. "America first eben". Ob das den "systemischen Feind", als der China identifiziert wird, beeindruckt und in seiner Entwicklung beeinträchtigt, ist die Frage. Wir müssten, so Elsner in diesem Gespräch, endlich lernen, China und Südostasien besser zu verstehen. Und wir müssten endlich unsere westliche, überhebliche, arrogante und immer noch kolonialistisch geprägte Überheblichkeit ablegen. Das Interview ist sehr lang geworden und deshalb in zwei Teile aufgeteilt. Es lohnt, sich darauf einzulassen.

Im Teil I
geht es eher um die aktuellen Zusammenhänge, um die Beteiligung der Reederei Cosco im Hamburger Hafen, den Kurzbesuch von Olaf Scholz in Bejing, die Knüppel, die ihm von seinen Ministern und Ministerinnen in der Regierung zwischen die Beine geworfen wurden, und von den Chefs "unserer" Indstrieunternehmen (VW, BMW, Bosch, BASF, Bayer, Deutsche Bank u.a.), die den Bundeskanzler begleiteten, weil sie weiter mit China Handel treiben und vor allem im Zukunftsmarkt China präsent bleiben wollen. Die deutsche Politik allerdings - und vor allem die Medien - lassen sie mehr oder weniger im Regen stehen ... In den Zeiten der Ostpolitik der 70er und 80er Jahre (unter Willy Brandt und Helmut Schmidt), als die großen Erdgas-Röhrengeschäfte mit der Sowjetunion gegen die Störversuche der USA von der Politik abgeschirmt wurden, war das noch ganz anders. Warum ist das heute nicht mehr so? Ist die Ökonomie eine andere geworden? Oder gilt das Primat der Ökonomie nicht mehr?

Im Teil II
geht es mehr um die "Tiefenstrukturen" einschließlich der 4000-jährigen Geschichte der chinesischen Reiche. Es geht um Chinas riesige multiethnische und multireligiöse 1,4-Milliarden-Gesellschaft und ihre staunenswerte Entwicklung, natürlich auch um Geopolitik, -strategie und -ökonomie und um die für die Linke in der ganzen Welt immer interessante Frage: ist China eine sozialistische Gesellschaft und/oder ist sie wenigstens auf dem Weg dahin? Eine einfache Antwort wird natürlich von Elsner nicht gegeben. Aber eins steht wohl schon heute fest: die chinesische Gesellschaft ist anders; in der Ökologie, in der Gesundheitspolitik (Corona !), überhaupt in der Sozialpolitik, im Städtebau, in der Verkehrspolitik und des Individualverkehrs und zunehmend auch im Konsumverhalten werden alternative Wege gesucht und gefunden.

Video und Interview: Sönke Hundt


Teil 1

Teil 2

* Wolfram Elsner

Wolfram Elsner, geb. 1950, war Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bremen und Leiter am Bremer Landesinstitut für Wirtschaftsforschung. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher internationaler Publikationen und Lehrbücher und Managing Editor, Forum for Social Economics 2012-2019. Internationale Lehraufenthalte führten ihn als Adjunct Professor an die Univ. of Missouri, Kansas City und seit 2015 als Gastprofessor an die School of Economics, Jilin Univ., Changchun, China.

Letzte Veröffentlichung: Wolfram Elsner, China und der Westen - Aufstiege und Abstiege: Vom alten Reich der Mitte zum gegenwärtigen Konflikt, Papy-Rossa Verlag 2022, 22 Euro.

*Sönke Hundt

Sönke Hundt ist emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre, Marketing und Organisation an der Hochschule Bremen und Mitglied unseres Nachdenkseiten-Geprächskreises Bremen.

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